475. Nachdenkliches für Manager – Rückstellungsfragen 12-96
Montag, 19. Oktober 2015 | Autor: intern
Lieber Blog Besucher,
die tiefsinnigen Gedanken von Karlheinz Binder haben mich viele Jahre erfreut und immer wieder zum Nachdenken angeregt. Genießen Sie diese Worte und nehmen Sie davon etwas in Ihrem Alltag mit.
Rückstellungsfragen
„Gibt es bei Ihnen eine schöne Tasse Kaffee?“ fragte Hugo Winkelmann, der Buchhaltungschef, als er sich mir gegenüber seufzend niederließ: „Die kalte Jahreszeit so kurz vor Weihnachten ist partout nichts für mich, dann meldet sich mein Ischias regelmäßig zurück und erinnert mich daran, daß ich ein vergängliches, schwaches Wesen bin“. Ich blickte lachend auf seine stattlichen neunzig Kilo.
Winkelmann zündete sich eine seiner kostbaren Zigarren an und ich wußte, wenn ich heute nachhause kam, würde meine Frau spontan wissen, mit wem ich eine Besprechung gehabt hatte, denn den edlen, unverwechselbaren Duft dieser Seelentröster nahm jeder der Beteiligten in der Kleidung mit.
Nach der üblichen Vorrede, wie es denn bitteschön ginge und, in diesem speziellen Fall jahreszeitlich bedingt, mit der Frage, ob denn alle Geschenke für das Fest schon gekauft seien und wie es denn stünde mit den ganz persönlichen Plänen und Vorhaben für die bevorstehenden neuen zwölf Monate, kam Hugo Winkelmann zur Sache:
„Sie haben mich neulich informiert“, sagte er, „daß Sie die Absicht haben, aus der Konkursmasse von H&G Maschinen zurückzukaufen. Was schätzen Sie, um welchen Betrag sich das ungefähr handeln wird, ich möchte nämlich in der Bilanz zum 31.12. eine entsprechende Rückstellung machen.“
„Ganz nüchtern und realistisch so rund zweieinhalb Millionen“ antwortete ich.
Winkelmann nickte mit dem Kopf, machte sich eine kurze Notiz, wir unterhielten uns noch weiter über das Geschäft, die Märkte, die Zukunftsprognosen, bis seine Zigarre zu Ende war, dann gaben wir uns die Hand und er ging.
Meine Sekretärin kam durch die nur angelehnte Vorzimmertür in mein Büro: „Chef, ganz ungewollt habe ich das eben mitbekommen, und wenn Sie mich für mich ungebildet halten, aber könnten Sie mir das mal erklären, mit den Rückstellungen?“
„Also“, holte ich tief Luft, „in den Lehrbüchern steht, daß Rückstellungen Positionen sind, die zu Verbindlichkeiten führen.
Im Klartext: Die Maschinen wollen wir haben, das ist klar und beschlossen und mit H&G und dem Konkursverwalter ist das auch generell vereinbart, nur der endgültige Kaufpreis liegt noch nicht fest und bis das der Fall ist, wird es Anfang Januar. Damit werden die schätzungsweise zweieinhalb Millionen erst im nächsten Jahr fällig. Weil wir aber ein gutes Geschäftsergebnis haben und praktisch auch schon in der Pflicht stehen, nehmen wir das Geld sinnbildlich schon jetzt aus der Kasse, buchen es ein und wenn wir dann im Januar bezahlen, lösen wir diese Rückstellung wieder auf. Damit geht das Geld in diesem Jahr aus dem Gewinn und nicht erst im nächsten.“
„Aha“, meinte sie und verschwand wieder in ihrem Zimmer.
Ich sah ihr hinterher und dachte noch einmal über mein Gespräch mit Hugo Winkelmann nach. Wie es denn mit meinen persönlichen Plänen für das kommende Jahr aussähe, hatte er mich gefragt. Und er meinte wohl damit alle die guten, oder wenigstens gut gemeinten Vorsätze. Die Absicht, noch gerechter, besser, verständnisvoller, gewissenhafter, nachdenklicher, liebevoller, zugewandter, gegenwärtiger zu werden und zu sein. Das immer wieder defizitäre Leben einer gründlichen Inventur zu unterziehen, Bilanz zu machen. Was bei so vielen von uns nötig wäre.
Wie steht es mit den nur halbherzig oder überhaupt nicht eingelösten Versprechungen und Verpflichtungen gegenüber dem Ehepartner, den Kindern, den Mitarbeitern? Gegenüber unserer Wahrhaftigkeit, unserer Moral, unserem Glaubwürdigsein?
Und, dachte ich weiter, was ist eigentlich mit unseren stillen, heimlichen oder laut gesprochenen Gelübden? Abgelegt in schwierigen, notvollen Situationen, mitten in der Klemme sitzend. Gelübde, die immer die gleiche Worte als Anfang haben: Gott, wenn Du mir hier raus hilfst, dann….
Sind solche Formulierungen nicht auch so etwas wie gültige Verträge? Eingegangene Bindungen?
„Wenn Du Gott, dem Herrn, etwas versprichst, dann mußt du es erfüllen, sonst wirst Du Schuld auf Dich laden. Gott nimmt Dich beim Wort. Er hat nicht verlangt, daß du ihm etwas gelobst, aber wenn Du es getan hast, dann mußt Du es auch halten.“
So steht es in der Bibel.
Könnte es sein, daß alle unsere Zusagen gegenüber Gott auch so eine Art Rückstellungsposition für eingegangene Verbindlichkeiten sind? Wir stehen im Obligo und haben es zu erfüllen, aber wir schieben die Zahlung ins nächste, ins übernächste, und von dort wieder ins nächste Jahr, manche ein ganzes Leben lang.
Sollten wir vielleicht die stillen Tage zwischen Weihnachten und Neujahr zum Anlaß nehmen, auch darüber einmal nachzusinnen?
Besonders dann, wenn auf unserem Konto dieser bewußte Satz so weitergeht: „Gott, wenn Du mir hier raus hilfst, dann werde ich meine Haltung Dir gegenüber ändern, dann will ich Dich ernst nehmen!“.
Welche Zeit wäre dazu besser geeignet, als gerade diese, jetzt.
Gesegnete, konsequente, tapfere Feiertage!
Karlheinz Binder
Thema: Nachgedacht | Beitrag kommentieren