467. Nachdenkliches für Manager – Vergleichsverfahren 3-96
Sonntag, 18. Oktober 2015 | Autor: intern
Lieber Blog Besucher,
die tiefsinnigen Gedanken von Karlheinz Binder haben mich viele Jahre erfreut und immer wieder zum Nachdenken angeregt. Genießen Sie diese Worte und nehmen Sie davon etwas in Ihrem Alltag mit.
Vergleichsverfahren
Schon zu Beginn der wöchentlichen Montagskonferenz bemerkte ich es,
Martin Schubert war eine Laus über die Leber gelaufen. Er saß da mit einem verdüsterten Gesicht, beteiligte sich nur äußerst wortkarg an den Gesprächen und Diskussionen, wirkte verkniffen.
Hatte er, dachte ich, über das Wochenende Krach gehabt? War ein Familienmitglied samt Haushaltskasse durchgebrannt? Oder hatte seine so attraktive Tochter ihm wieder einmal den jetzt absolut endgültigen, allerneuesten und unmöglichen Freund präsentiert? Eventuell sogar diesen überhaupt nicht zu ihr passenden Burschen, mit dem ich sie neulich sah?
„Martin“, sagte ich zu ihm, als wir das Sitzungszimmer verließen, „können wir beide uns noch einen Moment in meinem Büro unterhalten?“ Er nickte, aber als ich meine Hand auf seine Schulter legte, senkte er sie , machte sie zur Rutschbahn, und ich ahnte: Seine sichtliche Verärgerung hatte etwas mit der Firma oder mit mir selber zu tun.
Nachdem er sich eine Zigarette angebrannt hatte, sah er mich mit einem fast kampfbereiten Blick an und stieß förmlich heraus: „Ich bin sauer, stocksauer auf Sie und diesen Laden hier. Ich war am Freitag bei einer Sitzung in Hamburg und als wir am Abend noch alle in einer Kneipe zusammensaßen, da hat mir Eugen Grundmann von der Firma Hensold und Würz erzählt, was er verdient. Pro Jahr glatte zwanzigtausend mehr als ich, zwanzigtausend! Und da soll mir mein Job noch Freude machen?“
„Und was möchten Sie?“ fragte ich ihn.
„Gerechtigkeit“ sagte er, „ich will gerecht behandelt werden. Sie sollten sich das mal überlegen, oder ich tue es selber“.
Er stand auf, drückte seine Zigarette im Aschbecher aus, ganz konzentriert um nicht mich, sondern dieses Tun im Blick zu haben, dann ging er.
Ich ließ mich mit dem Chef von Eugen Grundmann verbinden. Wir kannten uns seit Jahren und hatten die Basis für ein offenes Wort.
Als ich ihm die Sache geschildert hatte, antwortete er: „Moment, ich greife mir eben die Unterlagen“ und als er zum Telefon zurückkam, erfuhr ich ganz persönlich und ganz vertraulich, was in seinem Haus die Leute der Grundmann-Kategorie verdienten, Endsumme, versteht sich.
Dann ging ich hinüber in Martin Schuberts Büro, setzte mich auf die Kante seines Schreibtisches und sagte: „Martin, Sie wollten Gerechtigkeit. Wenn ich die walten lasse, müßte ich Ihnen das Jahreseinkommen um fast genau dreitausend Mark reduzieren, denn um diese Summe liegt das Gehalt von Grundmann in Wahrheit unter Ihrem. Alles andere, was er Ihnen genannt und gesagt hat, war überaus großzügiges Anrechnen von Privilegien, die Sie auch haben und es war Angeberei. Trotzdem, ich tue was für Sie, aber die zwanzigtausend, die er Ihnen eingeimpft hat, sind nicht drin. Auf keinen Fall.
Martin Schubert schüttelte mißmutig den Kopf. Ich sah ihm an, die Unzufriedenheit hatte sich bereits verfestigt, die Bitterkeit ihre Wurzeln geschlagen und Freude, idealistisches Engagement, Schwung wie mit fressendem Rost überzogen.
War es nicht, fiel mir ein, Sören Kierkegaard, der dänische Religionsphilosoph, der das Wort geprägt hatte: Alle Not kommt vom Vergleichen?
Ich möchte nicht wissen, wie viel Unzufriedenheit entsteht, weil die Aufschneider unter uns nicht aussterben und wir selber oft genug hoch stapeln.
Ich möchte nicht wissen, wie viele defekte Beziehungen, auseinandergebrochene Zusammengehörigkeiten auf das Konto von angeberischen Behauptungen, großmundigen Formulierungen, unfundierten Gerüchten und ungeprüft geglaubten Behauptungen kommen. Verletzungen, die so lange wuchern und schwären, wie wir nicht die eigene Information, den objektiven Wahrheitsinhalt suchen.
Ich möchte nicht wissen, wie viele Menschen ein gestörtes Verhältnis zu Gott haben, weil sich versuchen ihn mit dem zu vergleichen, was er in ihren eigenen Vorstellungen ist, wie er nach ihrem Modell zu sein und zu handeln hat.
Ich möchte nicht wissen, wieviele Menschen mit Jesus Christus nicht klarkommen, weil eine sogenannte moderne Theologie in selbstzerstörerischer Überheblichkeit den Wahrheitsgehalt der Evangelien historisch-kritisch an den Maßstäben ihrer eigenen Logik mißt und so wird das kraftvolle, rettende, heilende, ermahnende und ewige Wort Gottes zur erbärmlich dünnen theologischen Wassersuppe. Und wir gleichen unseren Glauben daran ab und viele gleichen ihn an.
Alle Not kommt Vergleichen. Mit dem, was die anderen haben, verdienen, bedeuten, denken, fühlen, glauben und tun.
Wir verlieren dabei unsere eigenen Überzeugungen, unsere Maßstäbe, die Freude und die Dankbarkeit gegenüber Gott für das, was wir selber sind und haben. So etwas vergiftet die Seele.
Genau aus dieser Erkenntnis heraus, aus der Problematik des Vergleichens, betet in der Bibel, im Alten Testament, ein weiser Mann:
„Gott, laß mich weder sehr arm, noch sehr reich werden. Denn wenn ich im Übermaß hätte, stünde ich in der Gefahr, das alles meiner eigenen Tüchtigkeit zuzuschreiben und Dich darüber zu vergessen. Und wenn ich zu arm wäre, dann läge die Versuchung nahe, mich am Eigentum anderer zu vergreifen und damit Deinem Namen Schande zu machen“.
Da sucht einer seinen eigenen, ihm angemessenen Weg. Nein mehr: Er legt die Sache Gott hin als dem, der allein das richtige, für uns unschädliche Maß kennt zwischen den beiden Außenpunkten des Selbstgefälligseins und der Unzufriedenheit, denn wenn wir das nicht finden, mündet womöglich, wie oft genug in der Wirtschaftspraxis, das Vergleichsverfahren in den Konkurs.
Karlheinz Binder