474. Nachdenkliches für Manager – Konterfei 11-96
Montag, 19. Oktober 2015 | Autor: intern
Lieber Blog Besucher,
die tiefsinnigen Gedanken von Karlheinz Binder haben mich viele Jahre erfreut und immer wieder zum Nachdenken angeregt. Genießen Sie diese Worte und nehmen Sie davon etwas in Ihrem Alltag mit.
Konterfei
Es war ein wunderbares Wochenende. Eingeladen von lieben Freunden zur runden Geburtstagsfeier, Brunch unter der weit ausladenden, uralten Kastanie eines idyllisch gelegenen Hotels in einer ehemaligen Mühle, mit einer fröhlichen Dampferfahrt auf dem sonnenüberglänzten Rhein, mit einem gemächlichen Bummel durch das romantische Bacherach und am Abend der festliche Abschluß auf einer vom hohen Fels stolz aufragenden Burg mit weitem Blick über den Strom und die ihn einrahmenden Weinberge.
Die geladenen Gäste hatten unter diesen so gelungenen, harmonischen Umständen keinerlei Probleme, schnell, herzlich und entspannt in Kontakt miteinander zu kommen, nur bei einem, dem lieben, langjährigen Freund Josef, mußte ich auf der Hut sein, denn ständig lag er mit seinem Fotoapparat auf der Lauer, das Objektiv bedrohlich und herausfordernd auf mich gerichtet.
Josef hatte von seine Tochter, Ihres Zeichens Chefredakteuerin dieser erlauchten Zeitschrift, in der Sie gerade lesen, den Auftrag bekommen, von Karlheinz Binder ein Bild heimzubringen. Ein Bild auf dem ich, wie Josef mir sagte, so alt aussehe, wie ich bin. Wir standen also beide unter einem gewissen Leistungsdruck. Er, mich im richtigen Moment aus dem richtigen Winkel zu erwischen und ich, jederzeit einen dynamisch-lockeren, fröhlich-konzentrierten Eindruck zu machen.
Und beide hofften wir, es möge uns zur Zufriedenheit gelingen.
Eigentlich, dachte ich, als unser Dampfer geruhsam über die Wellen des Rheins dahintuckerte, eigentlich war das mit meinen Konterfeis schon fast der Stoff für ein handfestes Drama.
Vor etlichen Jahren, als ich anfing, für dieses Blatt mit Freude zu schreiben, gab es ein erstes Telefonat in dieser Sache: „Esther“, sagte ich zur Chefredakteuerin, „Esther, Ihr solltet ein besseres Foto von mir bringen, denn so, wie ich darauf erscheine, hoffe ich noch nicht einmal in zwanzig Jahren auszusehen“. „Dieses Bild“, hat sie mir geantwortet, „ist unser Beitrag zu Deiner Demut!“
Ich klammerte mich im Schmerz der jähen Selbsterkenntnis an den Hörer. Eins zu Null für Esther.
Aber ein wenig später erhörten die Fleißigen im Verlag doch meine Bitte und jetzt gefiel ich mir besser.
Dann hatte ich in Fribourg einen Vortrag zu halten.
Nach meinem Referat kam eine junge Frau auf mich zu. Sie gehörte zu den attraktivsten Exemplaren der weiblichen Spezies Mensch, die mir jemals begegnet sind und als sie mich anstrahlte und sagte: Herr Binder, ich bin heute Abend extra Ihretwegen gekommen“, da verlagerte ich spontan meine gesamten Atemluftvorräte vom Zwerchfell in den Brustraum, reckte mich und hatte das Gefühl, ein paar Zentimeter an Statur zugenommen zu haben. „Ich lese“, setzte sie hinzu, „ich lese auch immer Ihre Artikel in „Geschäftsmann und Christ“ und ich fühlte mich innerlich noch größer. „Aber“, ergänzte die charmante Dame, und sie musterte mich sehr aufmerksam, „aber auf Ihren Fotos sehen Sie jünger aus“. Und da war ich wieder so groß wie der Karlheinz Binder.
Leider blieb mein Waterloo der Umwelt nicht verborgen mit der Folge: Es gab ein neues, angeblich aktuelles Foto unter meinen Artikeln. Wer es geknipst, und ich gebrauche bewußt und verbittert diesen Ausdruck, wer es geknipst hatte, ist mir nie kund geworden, sonst hätte ich diesen unromantischen Menschen erbarmungslos zur Rechenschaft gezogen und nun, so mein Freund Josef, sollte zu aller Zufriedenheit eine energische Annäherung an die bestehenden Realitäten erfolgen. Die von ihm benutzte Kamera war gediegene, erste Klasse, seine Hand absolut zitterfrei. Es lag also ganz allein an meiner eigenen Person, wie freundlich, unverkrampft und gegenwartsnah das zu erwartende Ergebnis ausfallen wird.
Natürlich habe ich davon eine klare Vorstellung, in sozusagen nüchterner Selbsteinschätzung, geläutert durch Esthers Demutsschule, aber, frage ich mich, ist dieser Karlheinz Binder, dem ich jeden Morgen im Spiegel begegne, derselbe, wie Josef ihn durch seinen Kamerasucher sieht? Ist er derselbe, wie seine Frau, seiner Kinder, seine Freunde, seine Kritiker ihn sehen?
Ist das, was wir von uns selber halten, nur ein Teilaspekt? Denn in Wahrheit bestehen wir ja aus drei Bildern:
Zum Ersten aus dem Bild, das ich von mir selber habe.
Zum Zweiten aus dem, wie mich die anderen sehen.
Und zum Dritten, wer und was ich in den Augen Gottes bin.
Und sind womöglich diese 3 Bilder nicht überall und nicht immer deckungsgleich?
Wer bin ich wirklich? Was ist die objektive Realität? Denn es kann doch letzten Endes nur ein einziges, tatsächlich wahres Bild von mir geben.
Ist es vielleicht das Gottes? Sieht nur er uns so, wie wir wirklich sind? Bedingt das, uns einmal im Licht der Bibel und damit aus dem Blickwinkel Gottes sehr kritisch zu sehen? Abstand von uns selber zu gewinnen? Von unseren Einbildungen, unserem Selbstverständnis, unseren Beschönigungen und Verharmlosungen?
Bitte, recht freundlich!
Und bitte recht nachdenklich.
Karlheinz Binder