506. Nachdenkliches für Manager – Viel Erfolg 12-89
Dienstag, 20. Oktober 2015 | Autor: intern
Lieber Blog Besucher,
die tiefsinnigen Gedanken von Karlheinz Binder haben mich viele Jahre erfreut und immer wieder zum Nachdenken angeregt. Genießen Sie diese Worte und nehmen Sie davon etwas in Ihrem Alltag mit.
Viel Erfolg
Vor der Tür des Sitzungssaales gab ich Konrad Kunze spontan die Hand. „Konrad“, sagte ich, „Sie waren einfach brillant, da saß jedes Argument, ich gratuliere!“
Kunze blinzelte mich fröhlich und freundschaftlich an: „Ohne Sie hätte ich das nie geschafft. Sie haben mir den Ball immer wieder so gekonnt vor die Füße gespielt, dass ich zum Schluss nur noch das Tor zu schießen brauchte. Und jetzt haben wir uns ein Glas Sekt verdient. Kommen Sie, ich lade Sie ein.“ Er hakte mich unter und ließ sich nicht mehr bremsen bei seinem Marsch quer durch die Hotelhalle in Richtung auf die Bar.
Es war eine schwere Sitzung gewesen. Der Verwaltungsrat einer Institution, der wir beide angehörten, musste noch bis zum Jahresende und bevor alle in den Weihnachtsurlaub ausschwärmten, zwischen zum Teil stark differierenden Interessenparteien eine Entscheidung finden. Konrad Kunze und mir, als den Sprechern einer der vertretenen Gruppen, war es gelungen, eine akzeptierbare, vernünftige Lösung durchzusetzen Dank einer durchdachten Strategie, überzeugender Argumente und der Redekunst des Konrad Kunze.
Als sein hochgereckter Daumen dem Barkeeper signalisierte, unsere GIäser seien leer, legte ich ihm meine Hand auf den Arm und sagte: „Nein, danke. Ich würde zwar meinem Grundsatz, keinen Alkohol vor Sonnenuntergang, treu bleiben, denn draußen ist es stockfinster, aber immerhin muss ich noch 250 Kilometer hinter dem Lenkrad sitzen.“
Konrad Kunze wechselte seinen erhobenen Daumen gegen den Zeigefinger aus und winkte. „Schreiben Sie es auf meine Zimmer-Rechnung“, sagte er zu dem Mann hinter der Theke, dann hakte er mich erneut unter, und wir fuhren zusammen in die Tiefgarage.
Als wir uns verabschiedeten, gab er mir einen anerkennenden, herzlichen Stoss gegen die Schulter: „Wir sehen uns dann am 16. Januar wieder, eher nicht. Ich wünsche Ihnen schöne Feiertage und im Neuen Jahr viel Erfolg!“
Im Rückspiegel sah ich, wie der Lichtschein über der großen Stadt hinter mir immer mehr vom Dunkel der Nacht absorbiert wurde.
Es war spät geworden. Vor Mitternacht würde ich nicht zuhause sein. Wieder ein Abend, den meine Frau und meine Kinder ohne mich gewesen waren. Wie so oft in den letzten Jahren. Was war eigentlich Erfolg? Dass meine Wichtigkeit immer mehr wuchs? Auf Kosten meiner Familie? Hatte ich jemals gründlich darüber nachgedacht, dass jeder Erfolg seinen Preis hat? Auch dieser? Bezahlt von meiner Frau und meinen beiden Söhnen? Aus einem begrenzten Vorrat an gemeinsamer Zeit. Viel kleiner, als ich es wahrhaben wollte.
Ich konnte mir ausrechnen, in wie viel Jahren meine Kinder zu groß waren, um abends noch zuhause bleiben zu wollen.
Es gibt Dinge, die kann man nicht nachholen.
Was war aus den vielen idealistischen, redlichen Vorsätzen in meinem Leben geworden? Die meisten von ihnen eingetauscht gegen meine Karriere.
Und wie stand es mit der Frage nach Gott?
Ich hatte sie behandelt wie einen Wechsel, den man erst einmal quer schreibt mit dem beruhigenden Trugschluss, dass er erst später, viel später zur Einlösung präsentiert wird, und bis dahin ist so viel Zeit. Zeit zum Erfolg.
Wir wünschen uns gegenseitig immer das, was uns stark macht, unabhängig, überlegen und siegreich. Was passierte wohl, wenn ich einem sagte: „Ich wünsche Ihnen im kommenden Jahr Situationen der Schwachheit und ein paar Misserfolge, damit Sie mal nachdenklich werden?“ Im Gegenzug würde er mir wohl mit allem Nachdruck die Krätze an den Hals empfehlen.
Aber braucht es nicht gerade Krisen und Enttäuschungen, damit wir unser Menschsein bewahren, nicht über unser angemessenes Format hinauswuchern?
Wie war das bei mir?
Rückbesinnung und Wachstum, Reifen und Lernbereitschaft hatte es immer nur dann gegeben, wenn ich mir an schwierigen Menschen und problematischen Situationen wieder einmal eine platte Nase holte. Die Stunden der Wahrheit finden nicht statt auf den sonnigen Gipfeln des GIückes und des Erfolges, sondern weiter unten, im Schatten.
Was hatte Sören Kierkegaard, der dänische Religions-Philosoph, geschrieben?: „lch bin von ganzem Herzen dankbar für alle Niederlagen und Krisen, denn nur die sind es, die mich immer wieder zurücktreiben in das Gebet und in die Arme Gottes.“
In diesem Sinn wünsche ich Ihnen im Neuen Jahr viel Erfolg.
Karlheinz Binder
Thema: Nachgedacht | Beitrag kommentieren