496. Nachdenkliches für Manager – Alles Gute 12-88
Dienstag, 20. Oktober 2015 | Autor: intern
Lieber Blog Besucher,
die tiefsinnigen Gedanken von Karlheinz Binder haben mich viele Jahre erfreut und immer wieder zum Nachdenken angeregt. Genießen Sie diese Worte und nehmen Sie davon etwas in Ihrem Alltag mit.
Alles Gute
Durch die breite, wuchtige Glastür der Empfangshalle sahen wir, wie draußen der eiskalte Wind den dichten Schnee im Licht der Laterne fast waagerecht durch die Luft blies.
Wir hatten den ganzen Nachmittag über Konditionen verhandelt, die zwischen unseren Firmen ab 1.Januar gelten sollten und hatten eine Basis gefunden, die in uns beiden ein gutes Gefühl hinterließ.
„Warten Sie“, sagte er, „ich hole eben aus der Portierloge einen Schirm und bringe Sie noch bis zum Auto.“
Ich schlug meinen Mantelkragen hoch, hakte ihn ein, damit wir beide Platz hatten unter dem schützenden Parapluie, und als ich den Schnee vom Türschloss und den Scheiben wischte, umrundete er, mich förmlich behütend, den Wagen mit mir.
Wir gaben uns die Hand, Iächelten uns fast freundschaftlich an, dann sagte er: „Alles Gute“, und stapfte davon.
Auf der Autobahn hatten sie Salz gestreut, und ich konnte meine Konzentration beim Fahren ein wenig senken und nachsinnen über diesen Besuch.
Wir kannten uns seit Jahren, hatten geschäftlich miteinander zu tun, saßen gemeinsam in zwei Verbands-Ausschüssen und mochten uns. Aber sonst wussten wir wenig voneinander. Warum eigentlich? War es unsere disziplinierte Geschäftsmäßigkeit, die uns daran hinderte? Furcht, bei dem anderen die Intimgrenze des Persönlichen zu tangieren?
„Alles Gute“, hatte er mir zum Abschied gewünscht.
In ein paar Tagen würden wir Weihnachten feiern, ein neues Jahr anfangen. Hatte er das gemeint? Wollte er mich mit seinem Gruß durch diese Tage begleiten ?
Wie oft hatte ich das selber schon zu anderen Menschen gesagt, dieses „Alles Gute“ und mir nichts dabei gedacht. Es benutzt als eine höfliche Leerformel.
Waren diese zwei Worte so eine Art Sammelbegriff? Entstanden durch unsere Zeitnot, die uns zum Rationalisieren zwingt? Oder mehr aus Verlegenheit, weil wir sonst von Dingen reden müssten, über die wir nie wirklich gründlich nachgedacht haben und für die uns die Dankbarkeit verloren gegangen ist?
Als er mir „Alles Gute“ wünschte, hatte er sicherlich Gesundheit gemeint.
Wie selbstverständlich nahm ich sie hin, fast stolz auf meine eigene Robustheit. Aber war ein solcher Wunsch nicht zugleich Anfrage, wie ich es denn mit meinen Kräften, meiner Zeit und meinen Prioritäten hielt? Umfasste nicht Gesundheit mehr, als nur den Körper? Auch die Art meines Lebens? Keinen fieberhaften Ehrgeiz, keine kaputtmachende Kritiksucht und Ungeduld, kein dahinsiechendes Familienleben? War da Bilanz fällig?
Und an Frieden hatte er bestimmt gedacht, den inneren, den in unserem Herzen, denn es gibt keinen Frieden unter uns Menschen, der nicht in uns seinen Anfang nimmt. Aber was war mit dem Satz, den ich neulich bei Jesaja in der Bibel gelesen hatte: „Wer nichts von Gott wissen will, der findet keinen Frieden?“
Helfen da auch alle guten Wünsche nichts?
Ja, und dann war da noch die Liebe. Wer möchte die nicht? Das wusste ich sehr genau: Meine Frau brauchte Liebe, meine beiden Söhne brauchten Liebe und ich auch. Aber wie soll jemand Liebe bekommen, wenn der andere sie nicht gibt? Haben wir wirklich ein Anrecht auf Liebe? Oder ist es nicht vielmehr eine Verpflichtung, selber Liebe zu schenken?
Und die Freude?
Neulich war ich nachhause gekommen, und meine Frau sagte zu mir: „Das war einer der zauberhaftesten Herbsttage, die ich jemals erlebt habe. So richtig wie aus dem Bilderbuch.“ Und ich schwieg verlegen, weil ich vor lauter Arbeit das alles nicht bewusst wahrgenommen hatte.
War mein Leben nur noch angespannte, sachliche Entschlossenheit? Nur noch konzentrierte Perfektion? Gingen mir deshalb meine Kinder immer öfter aus dem Weg?
Ich fuhr den Wagen in die Garage, umarmte meine Frau ein wenig fester als sonst, was sie mit einem fragenden Lächeln beantwortete, suchte mir im Arbeitszimmer die Privatnummer meines Geschäftsfreundes heraus, rief ihn an und sagte: „lch wünsche Ihrer Familie eine Zeit in Liebe und Gemeinsamkeit. Ihnen viel Ruhe zur inneren Einkehr und uns beiden gestressten Geschäftsleuten die rechte Besinnung auf den Grund und die Adresse unserer Dankbarkeit. Gott segne Sie.“
Es war einen Moment still am anderen Ende und dann sagte er mit einer spürbaren Wärme in der Stimme: „Danke“ und legte auf.
Alles Gute, mein Freund.
Karlheinz Binder