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516. Nachdenkliches für Manager – Status Quo 12-90

Dienstag, 20. Oktober 2015 | Autor:

Lieber Blog Besucher,

die tiefsinnigen Gedanken von Karlheinz Binder haben mich viele Jahre erfreut und immer wieder zum Nachdenken angeregt. Genießen Sie diese Worte und nehmen Sie davon etwas in Ihrem Alltag mit.

 

 

Status Quo
„Hier sind die letzten Unterlagen für die Schlussbesprechung“, sagte meine Sekretärin und gab mir die Blätter in die Hand. Ich prägte mir noch einmal die wichtigsten Zahlen ein, legte alles in meine Konferenzmappe, und gerade als ich sie zuklappte, steckte mein Kollege Kurt Stoll seinen Kopf durch den Türspalt und fragte: „Hast Du noch einen Moment Zeit, bevor wir rübergehen?“

Ich rückte ihm einen Stuhl zurecht, er setzte sich und brannte eine Zigarette an: „Ich brauche Deine Schützenhilfe, wenn wir nachher die Planzahlen für nächstes Jahr endgültig verabschieden. Krug“, das war unser Finanzchef, „ist der Meinung, für unser Entwicklungsprojekt >Elektronische Qualitätsüberwachung> reicht die gleiche Summe wie in diesem Jahr. Aber ich brauche mindestens 50 Prozent mehr.
Ich gehe heute damit auf den Chef los, und Krug wird sich quer legen Kann ich mit Dir rechnen?“
Ich nickte, hakte ihn unter und zog ihn auf den Flur.

Als wir wieder aus dem Konferenzraum herauskamen, war es draußen schon finster geworden, es hatte angefangen zu schneien, und im Licht der Lampen am
Eingang unserer Empfangshalle sah man, wie sich die Büsche und Bäume unter einem heftigen, kalten Wind beugten.

„Danke“, sagte Stoll zu mir, „Du warst große Klasse, als Du meine Argumente aufgegriffen und verstärkt hast. Das war schon bundesligareif, wie wir uns den Ball zugespielt und die Tore geschossen haben. Krug ist zwar sauer, aber ich habe das Geld.“

Wir blieben stehen und sahen hinaus in die winterliche Dunkelheit. „Übrigens“, fügte Stoll an, „ab Montag gehe ich für drei Wochen in Skiurlaub, wir sehen uns also vor Weihnachten nicht mehr. Ich wünsche Dir schon heute von Herzen frohe Feiertage und für das Neue Jahr: Bleib, wie Du bist!“

Ich ging zurück in mein Büro, weil ich noch sehen wollte, was meine Sekretärin in der Zwischenzeit alles für mich notiert hatte.
Die letzten Worte von Kurt Stoll gingen mir nicht aus dem Kopf: „Bleib, wie Du bist.“

Ich erinnerte mich an meinen Großvater, für den diese Worte grundbestimmendes Lebensprinzip waren. Von den ersten Tagen meiner Kinderzeit kannte ich ihn über 25 Jahre lang, und immer war er sich, wie man so sagt, treu geblieben als ein aufrechter, kluger, kultivierter Mann mit klaren Grundsätzen. Da gab es kein Abweichen, keine Überraschungen. In gewisser Weise war er zu jeder Zeit berechenbar und wohl deshalb langweilte ich mich immer in seiner Gegenwart. Ich versuchte sein Herz zu entdecken und stieß auf Haltung.

Doch einmal geschah etwas. Es war zu Weihnachten. Großvater hatte sich, wie er das jedes Jahr tat, den ganzen Vormittag des Heiligabends in der guten Stube eingeschlossen, um den Tannenbaum zu schmücken. Niemals überließ er das einem anderen. Und als er uns dann durch GIöckchenläuten zur Bescherung Einlass gewährte, war es erneut ein Erlebnis, sein Kunstwerk zu sehen. Er hatte eine Begabung für Weihnachtsbäume. Wir beglückwünschten ihn herzlich für die meisterliche Dekoration, und als wir mitten bei der Bescherung waren, erstarrte Großvater förmlich, blickte angestrengt in die Zweige, die bunten Kugeln und das Engelshaar und erklärte, da gäbe es eine das Gesamtbild förmlich entstellende Asymmetrie, mehr noch, schon fast ein Loch in der Zuordnung des Christbaumschmuckes, und schon eilte er mit der Stehleiter herbei, drängte uns Platz zu machen, klappte sie auseinander und erklomm sie, den Blick fest auf das Ärgernis gerichtet. Er beugte sich weit hinüber, nahm eine der weissbereiften Kugeln von ihrem Ast, verlor das Gleichgewicht, Tannenbaum und Großvater umarmten sich, sanken förmlich ineinander, und unter Klirren, Knacken und Fluchen gingen sie vereint zu Boden, mitten in dem stattlichen Paradiesgarten, der sich unter Großvaters Gewicht zurückverwandelte in einen vorschöpfungsähnlichen Zustand. Und als Opa da mitten in den Trümmern seines gefühlvollen Festes lag, liebte ich ihn. Seine schwächste Stunde war für mich zu seiner stärksten geworden. Er war eine gefallene Respektsperson, ein Mensch.

Nein, ich wollte nicht so bleiben, wie ich war, so gut das Kurt Stoll auch gemeint hatte. Sagten wir nicht immer wieder zu unseren Mitarbeitern, dass Stillstand Rückgang sei? Betonten wir nicht ständig, dass Zukunft ohne Wachstum nicht möglich ist, dass Leben nur dort geschieht, wo Veränderung stattfindet?

Da stellte ein Christ in einem Vortrag, den er neulich hielt, die verblüffende Frage: „Was muss ein Mensch tun, um garantiert das Ziel seines Lebens und damit die Ewigkeit zu verfehlen?“
Und seine Antwort? „Bleib wie Du bist und rühr Dich nicht!“
Hatte darum Johannes der Täufer seine Zuhörer so dringlich und mit aller Leidenschaft ermahnt, Buße zu tun?
Nachzusinnen über ihre Art zu leben und zu denken mit der Bereitschaft für Konsequenzen?
Heraus aus ihrer selbstbetrügerischen Sicherheit und der Erstarrung in Gewohnheiten, die wir und vielleicht sogar andere an uns gut finden, die aber in den Augen Gottes einen ganz anderen Stellenwert haben?
Wollte Johannes Menschen bereit machen zu einer lebendigen Begegnung mit Jesus Christus, als er ihnen zurief: „Bereitet dem Herrn einen Weg,“
Mitten hinein in unser Leben? Nicht Status quo, sondern Aufbruch, Dynamik?

„O Gott“, sagte ich und sah aus dem Fenster hinaus in die Winternacht, „lass mich nicht so bleiben, wie ich bin. Ich will leben, wachsen. Nimm mir alle meine Standpunkte weg, auch wenn ich Angst habe, damit Sicherheiten einzubüssen. Schick mich durch Lernprozesse, durch Krisen, damit ich reife und klug werde für das, was Du Deine Ewigkeit nennst. Gib mir, gib uns ein wirklich und wahrhaftig neues Jahr.“

 

Karlheinz Binder

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515. Nachdenkliches für Manager – Sicht null 11-90

Dienstag, 20. Oktober 2015 | Autor:

Lieber Blog Besucher,

die tiefsinnigen Gedanken von Karlheinz Binder haben mich viele Jahre erfreut und immer wieder zum Nachdenken angeregt. Genießen Sie diese Worte und nehmen Sie davon etwas in Ihrem Alltag mit.

 

Sicht null
Ich machte die Scheinwerfer aus, stellte Scheibenwischer und Motor ab, schloss die Wagentür und ging durch den grauen Nieselregen hinüber zum Gebäude des kleinen Regional-Flughafens.
„Ein trostloser Morgen“, sagte mein Kollege Weber zu mir, als wir uns im Warteraum trafen. Ich legte meine Hand auf seine Schulter und nickte.

Der Kopilot holte uns ab und führte uns zu der zweimotorigen Reisemaschine, die uns zur Sitzung nach Saarbrücken fliegen sollte.
Der Pilot saß schon im Cockpit, und als wir einstiegen, drehte er sich zu uns um: „Bitte bleiben Sie nachher die ganze Zeit angeschnallt, es wird ein bisschen unruhig und schaukelig werden. Wir dürfen heute nicht über 8000 Fuß, weil weiter oben Manöver sind.“

Er ließ den Vorhang zum Passagierraum offen, und ich konnte von meinem Platz aus zusehen und zuhören, wie sie die Checkliste durchgingen. Sie starteten die beiden Triebwerke, setzten die Klappen und rollten zum Start.
Wir hatten kaum abgehoben, da waren wir schon mitten in der geschlossenen Wolkendecke, Sicht null.

Ich sah angestrengt aus dem Fenster und konnte noch nicht einmal mehr das Ende der Tragfläche erkennen, nur den gedämpften, rhythmisch aufzuckenden Widerschein der Begrenzungsleuchte.

„Möchten Sie einen Kaffee“, fragte uns einer der beiden Flugzeugführer und zeigte mit dem Finger auf den Automaten, der seine Lieferbereitschaft durch ein rotes Kontrolllicht kundtat.
„Nein danke“, riefen Weber und ich völlig simultan, und wir lachten noch nicht einmal dabei.

Auf dem Radarschirm wanderte der schmale Suchstrahl wie ein Scheibenwischer unablässig hin und her und hinterließ bizarre Konturen und in ihnen helle Punkte. Ob das wohl die Militärmaschinen weiter oben waren? Und ob sie auch uns in der Ortung hatten?

Wir erreichten die vorgeschriebene Höhe und gingen in den Horizontalflug über.
Draußen war noch immer absolut nichts zu erkennen, nur graue Düsternis aus der die Nässe waagrechte Regenbahnen über die Fenster zog.
Im Bordlautsprecher, den die Piloten eingeschaltet hatten, meldete sich die frequenzverzerrte Stimme eines Fluglotsen und gab für mich nicht verstehbare Anweisungen Die Maschine legte sich spürbar auf die Seite, änderte den Kurs, und immer wieder kamen neue Instruktionen.
Ich hatte jede Orientierung verloren, für rechts und links, oben und unten. Nach meinem Gefühl flogen wir eine Kurve nach der anderen, und dann kamen die ersten Turbulenzen. Unvermittelt und heftig.
Weber zog seine Jacke aus, schnallte sich wieder an und verkrampfte sich in seine Konferenz-Unterlagen. Ob er Angst hatte?

Da sind unter deinen Füssen ein paar Spanten, wenige Millimeter Aluminium und dann runde 3000 Meter nichts, überlegte ich. Über uns superschnelle Jäger, um uns herum totale Sichtlosigkeit und in mir ein gegen die Schaukelei ankämpfender Magen und das beklemmende Gefühl des hilflosen Ausgeliefertseins.
Wenn auch in Saarbrücken die Wolken bis fast auf den Boden reichten, würden wir überhaupt die Landebahn finden?

Vor ein paar Jahren hatte es in einer Illustrierten die Serie gegeben: „Runter kommen sie immer!“
Ich fing an, mich an Einzelheiten aus den Tatsachenberichten zu erinnern und immer wieder musste man feststellen: Das schwächste Glied in der Kette der Absicherungen war der Mensch selber. Ob die zwei da vorn überhaupt noch wussten, wo wir waren?
Wenn man wenigstens etwas sehen könnte. Einen Horizont hätte, auf den hin Orientierung möglich wäre. Irgendeinen festen Punkt, an den sich Auge, Gleichgewichtsgefühl und Zuversicht klammern könnten.

Das Flugzeug stieß steil nach unten. Ich hörte die Elektromotoren der Landeklappen summen, das Fahrwerk polterte aus dem Schacht, in ungefähr 200 Meter Höhe kamen wir aus den Wolken und genau vor uns lagen die beiden langen Lampenreihen der Rollbahnbegrenzung.
Als die Triebwerke stillstanden, kam der Pilot zu uns nach hinten, betrachtete lächelnd unsere blassen Nasen und gab uns wortlos die Hand.

Auf der Fahrt in die Stadt setzte ich mich hinten in das Taxi, schloss die Augen und dachte nach: Wie oft hatte es in meinem Leben ähnliche Situationen gegeben. Ereignisse, die Ratlosigkeit und Angst in meine routinierte Sicherheit einbrechen ließen. Wo ich im Augenblick keine Lösung sah, nicht den berühmten Silberstreif am Horizont, nur perspektivlose Finsternis, Sicht null.

Dem Propheten Jesaja war es genauso ergangen, bis an die Grenze der Verzweiflung und mitten in einer solchen Phase hatte er niedergeschrieben: „Der im Finsteren wandelt und es scheint ihm kein Licht, der hoffe auf den Namen des Herrn und verlasse sich auf seinen Gott.“
Woher nahm er diese Zuversicht? Aus seinem unbedingten Vertrauen zu Gott?
Erinnerte er sich dabei an König Davids Sätze aus dem Psalm 139? „Herr, Du durchschaust mich, Du kennst mich durch und durch. Ob ich sitze oder stehe, Du weißt es. Du kennst alle meine Pläne. Ob ich tätig bin oder ausruhe. Du siehst mich. Jeder Schritt, den ich mache, ist Dir bekannt. Noch ehe ein Wort mir auf die Zunge kommt, hast Du, Herr, es schon gehört. Von allen Seiten umgibst Du mich, ich bin ganz in Deiner Hand.“
Und ein paar Zeilen weiter: „Steige ich hinauf in den Himmel: Du bist da. Fliege ich dorthin, wo die Sonne aufgeht, oder zum Ende des Meeres, wo sie versinkt, auch dort wird Deine Hand nach mir greifen, auch dort lässt Du mich nicht los. Durchforsche mich, Gott, sieh mir ins Herz, prüfe meine Wünsche und Gedanken. Und wenn ich in Gefahr bin, mich von Dir zu entfernen, dann bring mich zurück auf den Weg zu Dir.“

Danke Jesaja, danke David für solche Worte, obwohl ihr nie nach Saarbrücken geflogen seid.

 

Karlheinz Binder

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514. Nachdenkliches für Manager – Die Quittung 10-90

Dienstag, 20. Oktober 2015 | Autor:

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die tiefsinnigen Gedanken von Karlheinz Binder haben mich viele Jahre erfreut und immer wieder zum Nachdenken angeregt. Genießen Sie diese Worte und nehmen Sie davon etwas in Ihrem Alltag mit.

 

 

Die Quittung
„Möchten Sie auf der Terrasse frühstücken?“ fragte mich der Ober, und als ich nickte, ging er vor mir her, führte mich zu einem der Tische, strich die Decke noch einmal glatt und rückte den Stuhl zurecht: Kaffee oder Tee?
„Kaffee“ sagte ich und genoss den klaren, taufrischen Morgen mit seinem Amsel-Gesang, der weichen, sachten Brise vom nahen Wald her und mit dem unternehmungslustigen Schilpen der Sperlinge, die sich erwartungsvoll auf den benachbarten Stuhllehnen postierten, weil sie mich mit sachkundigem Hotelspatzenblick wohl für einen hielten, der beim Brötchenschneiden krümelt.
Ich tat ihnen den Gefallen, ganz kameradschaftlich und ausgiebig; und als ich neugierig um mich schaute, wie groß denn inzwischen die Schar meiner gefiederten Tischgenossen geworden war, sah ich ihn plötzlich, Paul Kaltenbach. Er saß ein paar Tische weiter und hatte mich noch nicht bemerkt, weil er in seine Zeitung vertieft war.

Ich betrachtete nachdenklich das Profil seines Gesichtes.
Er hatte sich kaum verändert seit er sich damals von uns verabschiedete, um in Pension zu gehen. Wie lange war das her? Mit Sicherheit fünf Jahre, vielleicht sogar schon sechs.

Noch immer lag dieser trotzige Zug um seinen Mund, noch immer schob er sein Kinn vor, als gelte es, im nächsten Moment anzugreifen. Er war eine Kämpfernatur. Einer, der nicht eher locker ließ, bis er seinen Willen durchgesetzt und seine Ziele erreicht hatte.
„Ich bin eben ein Hardliner“, sagte er gern und nicht ganz ohne Stolz von sich selber.
Er machte seine Geschäfte im gleichen Stil, wie er auch Tennis spielte: Immer in der Vorhand, immer aggressiv, selbst denen gegenüber, die versuchten, seine Freunde zu sein. Für ihn war Erfolg das Wichtigste, und er hatte ihn auch, in einem ungewöhnlichen Maß.
Seine Firma und die Branche verdankten ihm viel. Er hatte ihnen öffentliche Geltung verschafft, Märkte erobert, Siege gefeiert und dabei seine Leute bis zum Äußersten gefordert und geschunden.
Um gerecht zu sein: Er war kein Ausbeuter gewesen, aber einer, der Menschen als Produktionsfaktor betrachtete, einzusetzen unter dem Gesichtspunkt höchster Effizienz. Er war großzügig und jovial, solange einer das Tempo mithielt und sein Erwartungsmodell erfüllte. Schaffte er es nicht, schnitt er ihn ab von jeder persönlichen Verbindung und ließ ihn am Weg liegen. Und als ihn deshalb einmal jemand zur Rede stellte, antwortete er mit beeindruckendem Lachen und einem warnenden Glitzern in den Augen, er halte es da mit Napoleon der gesagt habe, Fußkranke behinderten nur den Vormarsch und damit den Sieg.

Ich legte meine Serviette neben die Kaffeetasse, stand auf, ging die wenigen Schritte zu ihm hinüber, sagte „Guten Morgen“ und setzte mich.
Er erkannte mich sofort. „Was machen Sie hier?“, fragte er und ich erklärte ihm, warum ich es vorgezogen hatte, nicht mitten in der Stadt, sondern hier an der Peripherie zu übernachten und beendete meinen Satz mit den Worten: „Und Sie?“
„Ich wohne hier“, sagte er, „das Hotel hat in den oberen Stockwerken Appartement-Wohnungen. Da ist man ganz und gar sein eigener Herr und hat dennoch den gesamten Service.“

Ich sah ihn fragend an, und er verstand meinen Blick: „Meine Frau und ich haben uns getrennt. Um ganz korrekt zu sein, sie ist mir weggelaufen und wohnt jetzt bei den Kindern.“
„Haben Sie noch Kontakt zu den früheren Kollegen?“
“Kaum, aber das macht mir nichts aus. Und wenn ich schon mal eingeladen werde zu irgendeiner Feier, dann gehe ich einfach nicht mehr hin. Ich brauche die anderen nicht.“ Es klang fast zornig, wie er das sagte. Er klappte seine Zeitung hastig zusammen, erhob sich, gab mir die Hand und weg war er.
Ich ging langsam zurück an meinen Tisch, schenkte mir noch eine Tasse Kaffee ein und war betrübt, weil ich hinter den Worten und dem Verhalten des Paul Kaltenbach die verbitterte Einsamkeit spürte.
Da war dieser energische, hochbegabte, kraftvolle und zugleich rigorose Mann lange Zeit einer der Grossen in der Branche gewesen, aber durch seine Art und seine Erfolge hatte er über dem Wichtigen das Wesentliche versäumt und vergessen. Was uns so stark an unseren Beruf bindet, mit Leib und Seele, wie man immer so schön sagt, das trennt uns allmählich von den anderen Menschen. Weil eben nur echte menschliche Freundschaft, Liebe und Hingabe die Zäsur der Pensionierung überdauern, hatte Paul Kaltenbach, bewusst oder unbewusst, Prioritäten gesetzt, Weichen gestellt und dafür die Quittung präsentiert bekommen. Von seiner Frau, seinen Kollegen, den Geschäftsfreunden. Er, der noch vor ein paar Jahren Mühe hatte, überhaupt eine Lücke in seinem Terminkalender zu finden, zahlte jetzt mit Einsamkeit und stiller Verbitterung

„Ermahne die, die im Sinne dieser Welt reich sind“, schreibt der Apostel Paulus an seinen Mitarbeiter Timotheus, „dass sie nicht überheblich werden. Sie sollen ihr Vertrauen nicht auf etwas so Unsicheres und Vergängliches wie Erfolg und Reichtum setzen, sondern auf Gott. Wenn sie an guten Taten reich werden, schaffen sie sich eine sichere Basis für die Zukunft, damit sie das wirkliche Leben gewinnen.“

Ob Paul Kaltenbach jemals darüber nachgedacht hatte, was es heißt, sein Vertrauen auf Gott zu setzen und was „wirkliches Leben“ist?

Und wenn er mich danach gefragt hätte, könnte ich es ihm erklären?

 

Karlheinz Binder

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513. Nachdenkliches für Manager – Vertragloser Zustand 9-90

Dienstag, 20. Oktober 2015 | Autor:

Lieber Blog Besucher,

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Vertragloser Zustand
„Hallo“, sagte eine Stimme hinter mir, mitten aus dem Lärm der Get-together-Party, und eine Hand legte sich auf meine Schulter.
Ich drehte mich angemessen langsam um damit mein Bier nicht überschwappte und blickte in das lachende Gesicht von Bernhard Klasen.
„Schön, Sie endlich mal wieder richtig zu sehen“, ergänzte er.
Ich hob mein Glas, stieß es gegen das seine, sagte Cheerio und wir machten einen tiefen Zug, drängelten uns durch die vielen eifrig redenden Menschen in eine ruhigere Ecke und gaben uns die Hand.

Ich freute mich von Herzen über das Wiedersehen, denn wir beide hatten uns in den letzten Jahren ein wenig aus den Augen verloren. Ab und zu gab es Kontakte, aber sie waren immer unter Zeitdruck oder situationsbedingt auf Distanz, und dabei gab es eine Frage, die ich Klasen stellen wollte, ganz persönlich, unter vier Augen.

Der Anlass lag jetzt rund fünf Jahre zurück: Wir saßen uns bei einer Verbandstagung genau diagonal gegenüber, und das Thema um das es ging, war schwierig. Es war beschlossen worden, Grundsätze und Richtlinien für die Mitglieder zu formulieren, sie für allgemeinverbindlich zu erklären und beim Kartellamt eintragen zu lassen.
Wir waren uns alle darüber klar: Das würde ein schwerer, langer Marsch durch die Instanzen, und Bernhard Klasen sah in die Runde, gab ein eindrucksvolles Seufzen von sich und sagte:“Ich bin jetzt über fünfzig, gebe es Gott, dass ich das noch erlebe!“
Wir alle lachten, und ich rief ihm zu: „Machen Sie doch mit Gott einen Vertrag, dass er Sie so lange leben Iässt, bis wir unsere Richtlinien unter Dach und Fach haben. Das sichert Ihnen ganz bestimmt ein hohes Alter“, und Klasen sah mich plötzlich ernst an und antwortete leise: „An meinem Vertrag mit Gott formuliere ich schon seit 20 Jahren, aber…“ hier brach er seinen Satz ab, schaute intensiv in seine Unterlagen und sagte kein einziges Wort mehr. Selbst jetzt, 5 Jahre danach, erinnere ich mich noch sehr genau an den Ausdruck von Betroffensein und Verlegenheit in seinem Gesicht.

Ich sah Bernhard Klasen an und fragte ihn: „Denken Sie auch noch manchmal zurück an die Sitzung in Frankfurt, als es damals um die Verbandsrichtlinien beim Kartellamt ging?“
Er nickte. „Und wie steht es um Ihren Vertrag mit Gott? Ist er fertig? Unterschrieben?“, forschte ich weiter.
Und wieder senkte er seinen Blick, genau wie damals.
Er las sehr intensiv den Werbespruch der Brauerei auf der Umrandung seines Bierfilzes und drehte ihn dabei langsam um 360 Grad.

Ich wartete und sah ihn schweigend an, denn genau das war die Sache, über die ich schon lange mit ihm reden wollte. Mich interessierte die Antwort. Ich war gespannt: Wie geht einer mit der Frage nach Gott um, wenn er schon seit so vielen Jahren ganz dicht daran ist?

„Also das mit dem Vertrag“, sagte Klasen nach einer ganzen Weile, und er suchte dabei hörbar nach Worten, „das mit dem Vertrag liegt nicht so einfach, wie Sie das vielleicht sehen. Wenn zwei miteinander Vereinbarungen treffen, dann verpflichten sie sich ja zu bestimmten gegenseitigen Verhaltensweisen, und sie binden sich für eine definitive Situation oder in einer ausdrücklich formulierten Angelegenheit, und das hat Auswirkungen und Folgen sachlicher und juristischer Art.“
Als er merkte, dass ich ihm gespannt zuhörte, wurde sein Redefluss dichter, schneller, und dann hielt er mir rund 10 Minuten lang einen brillanten Vortrag über allgemeines und spezielles Vertragsrecht, so gewandt, so klug und so undurchschaubar, dass er sich dahinter verstecken konnte. So lange er redete, fühlte er sich sicher.
Und in mein Luftholen zu einer Antwort hinein sagte er: „Ich habe viel zu lange geredet, meine Leute warten auf mich, bis nachher“. Und fort war er.

Was sind wir nur für Menschen, dachte ich. Voll mit Wissen und unfähig zur Antwort.
Da bietet Gott im Alten Testament den Menschen siebenmal ein Bündnis an. Er macht damit ein Friedens- und Rettungsangebot, aber es bleibt einseitig, weil die Menschen viel zu sehr mit sich und ihrem Wohlstand beschäftigt sind, und selbst die schon fast flehentliche Ermahnung Gottes: „Hört doch, kommt zu mir. Hört auf mich, dann werdet ihr leben! Ich will mit euch einen unauflöslichen Bund schließen!“, verliert sich ohne Echo.

Da formuliert ein Bernhard Klasen Jahr um Jahr in dilettantischer Souveränität an seinem Vertrag mit Gott herum und begreift nicht, dass mit Jesus Christus, als dem sichtbar und erlebbar gewordenen achten Angebot Gottes, der endgültige Schlusspunkt unter den Vertragstext gesetzt ist. Es geht nur noch darum, ihn anzunehmen oder abzulehnen.
Das aber zu tun ist die freie, alleinige Entscheidung von uns Menschen, denn Gott vergewaltigt nicht.
Wie gern hätte ich Bernhard Klasen noch gesagt, was Paulus in dieser Frage an die Römer schrieb, als er ihnen schilderte, was genau besagte Auswirkungen und Folgen sachlicher, juristischer und persönlicher Art sind, wenn einer sich auf Jesus einlässt:
„ Ich habe die Gewissheit“, so formuliert Paulus, „dass uns dann nichts mehr von Gottes Liebe trennen kann. Weder Tod noch Leben, nichts Gegenwärtiges oder Zukünftiges, weder etwas im Himmel noch in der Hölle. Durch Jesus Christus, unseren Herrn, hat Gott uns seine Liebe geschenkt. Und darum gibt es in der ganzen Welt nichts, was uns jemals von der Liebe Gottes trennen kann.“
Braucht man dazu wirklich 25 Jahre, Bernhard Klasen?

 

Karlheinz Binder

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512. Nachdenkliches für Manager – Urlaubsplanung 7-90

Dienstag, 20. Oktober 2015 | Autor:

Lieber Blog Besucher,

die tiefsinnigen Gedanken von Karlheinz Binder haben mich viele Jahre erfreut und immer wieder zum Nachdenken angeregt. Genießen Sie diese Worte und nehmen Sie davon etwas in Ihrem Alltag mit.

 

 

Urlaubsplanung

„Bitte, nimm Dir nicht so viele Bücher mit in den Urlaub wie im letzten Jahr“, sagte meine Frau, als sie mich durch die geöffnete Zimmertür mitten zwischen Foto-Utensilien, Land- und Strassenkarten, Fernglas, Kompass, Höhenmesser und Rucksack sitzen sah.

Ich blickte von meiner umfangreichen Checkliste auf, nickte und wusste dabei, es würde zu ihrem Leidwesen genau so sein wie immer: Unsere Urlaubstage reichten für zwei und mein Arbeits- und Entspannungsmaterial für vier Wochen.
Das war so meine Art, mir immer doppelt so viel vorzunehmen, wie ich schaffen konnte, aber, so behauptete ich zu meiner Rechtfertigung, genau das fördere ungemein die Leistungsfähigkeit und die Kreativität. Dabei wusste ich, der wahre Grund lag tiefer: Was ich mir in vielen Jahren als Manager antrainiert, anerzogen und meinem Wesen eingeprägt hatte, immer initiativ, immer aktiv zu sein, das ließ sich nicht so einfach ablegen, auch nicht im Urlaub. Selbst nicht mit Hilfe besorgter, liebevoller Ermahnungen.

Drüben auf dem Eckbord hatte ich schon angefangen, mir Bücher und Arbeitsmappen zurechtzulegen. Alles Dinge, für die ich meinte, im Urlaub Zeit und Ruhe zu haben. Noch war der Stapel klein, aber bis zur Abfahrt am nächsten Morgen würde er auf sein übliches Maß wachsen. Ich kannte mich.

Da nahm ich mir immer wieder neu und mit gutem Willen vor, endlich einmal richtig auszuspannen, sagte und versprach das auch meiner Frau und packte mir dann doch wieder Arbeitsvorräte ein wie ein Hamster der Angst hat, es könnte ihm über den Winter das Futter ausgehen.

Da hatte man vor zwei Jahren in Japan eine Befragung bei Angestellten und Arbeitern durchgeführt, und 53 Prozent sagten, sie verspürten Schuldgefühle, wenn sie in Urlaub gingen. Leider gab es keine Vergleichszahlen für Europa, aber eines war gewiss: Ich gehörte dem gleichen Typus an, mit einem schlechten Gewissen, wenn ich nicht ständig irgend etwas tat. Und oft genug ermahnte ich mich selber: „Karlheinz Binder, sitz nicht untätig und faul herum, sondern tu etwas!“
Und dabei verlor ich mehr und mehr die Fähigkeit, mich überhaupt noch entspannen zu können. Am Morgen wachte ich manchmal auf, und mir tat der Unterkiefer weh, weil ich die Nacht über wieder mit verbissenen Zähnen geschlafen hatte.
Mein Hausarzt sagte mir etwas von Stress und sah mich tadelnd an.
Ein Freund, dem mein ständig angespannter Gesichtsausdruck auffiel, riet mir, einmal sehr ernsthaft und ehrlich über das Erste Gebot nachzudenken, anstatt immer mehr ohne Atem und Besinnung zu leben.

War ich wirklich besinnungslos geworden? Hatte ich angefangen, alles meinem Ehrgeiz unterzuordnen? Meinen Beruf, meine Ehe, die Erwartungsmodelle gegenüber meinen Söhnen, meine menschlichen Kontakte, selbst meine Freizeit, meinen Urlaub?

Da waren wir zum Beispiel im letzten Jahr an einem zauberhaften Sommerabend in unserem Hotel in den Alpen angekommen. Wir standen auf dem Balkon, und während meine Frau schweigend und überwältigt die mächtigen Berge im Farbenspiel der untergehenden Sonne betrachtete, legte ich mit Kennerblick auf die Gipfel bereits die Routen für die erste Woche fest: Morgen die Walderspitze mit Aufstieg über das Latschenkar, zum Einlaufen würde das gerade richtig sein. Dann übermorgen…, und am Dienstag…, und am Mittwoch…, und, und…
Natürlich hatten wir von allem nicht einmal die Hälfte geschafft. Anstatt erholt und glücklich zu sein, war ich mit einem Gefühl nachhause gefahren, etwas versäumt zu haben.

War ich einer von denen, die der große englische Prediger Spurgeon meinte, als er schrieb: „Du machst Dir die Studierstube zum Gefängnis und die Bücher zu Gefängniswärtern, während die Natur vor dem Fenster draußen zu Gesundheit und Freude ruft. Wer das Summen der Bienen im Heidekraut, das Girren der Tauben im Wald, den Gesang der Vögel, das Rauschen des Bächleins, das Seufzen des Windes in den Fichten vergisst, der darf sich nicht wundern, wenn sein Herz den dankbaren Gesang vor Gott verlernt und seine Seele düster wird.

Da arbeiten wir nach Stunden immer weniger und finden dennoch keinen inneren Frieden, sondern verändern nur unsere Abhängigkeiten und die Fehler unseres Ehrgeizes.
Heißt ein ausgefülltes Leben, dass wir auch noch für Freizeit und Erholung ein Iückenloses Programm haben?
Erfolgserlebnisse, die uns erfolgreich daran hindern, über unser Leben nachzudenken? Über die Art und Weise, wie wir es gestalten und ob es so Sinn ergibt?

Hatte der Freund recht, an das Erste Gebot zu erinnern, weil zu viele von uns schon Iängst die Arbeit zu einer Art Religion gemacht haben? Mit Hingabe bis zur Unterwerfung. Mit Opfern, die wir bringen. Mit Schuldgefühlen, die wir durch noch höhere Leistungen kompensieren. Aber ohne eine Hoffnung und eine Zuversicht, weil wir, wie Paulus sagt, nichts in diese Welt mitgebracht haben und auch nichts aus ihr hinausbringen werden. Weder unseren Besitz noch unsere Leistungen. Weder unsere Titel und Ämter noch unsere Beziehungen. Unsere Seele werden wir mitnehmen als die gelebte Antwort auf die Forderung des Ersten Gebotes: „Ich bin der Herr!“

Als meine Frau wieder ins Zimmer kam, stellte ich gerade mit entschlossener Hand das letzte Exemplar meiner Urlaubsbewältigungslektüre zurück ins Regal.

Sie sah mich fast ungläubig erstaunt an und fragte: „Keine Bücher?“

„Nein“, sagte ich, „ich habe gerade einen Entschluss gefasst und mir vorgenommen, in diesen Ferien Bäume, Blumen, Landschaft, Licht und Farben wahrzunehmen. Ich will,,, und das sagte ich mit einem Lächeln, „vielleicht einmal wieder in Deinen Augen lesen anstatt in Büchern, und ich möchte gründlich nachdenken über das Erste Gebot.“

„Du“, strahlte meine Frau, „ich habe so ein Gefühl, als ob die nächsten zwei Wochen zu etwas ganz Neuem werden: Zum Urlaub.“

 

Karlheinz Binder

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511. Nachdenkliches für Manager – Tag der offenen Tür 6-90

Dienstag, 20. Oktober 2015 | Autor:

Lieber Blog Besucher,

die tiefsinnigen Gedanken von Karlheinz Binder haben mich viele Jahre erfreut und immer wieder zum Nachdenken angeregt. Genießen Sie diese Worte und nehmen Sie davon etwas in Ihrem Alltag mit.

 

 

Tag der offenen Tür
Als ich das Zimmer meines Kollegen Weber betrat, stand er mit dem Rücken zur Tür am Fenster und schaute konzentriert hinunter auf den Parkplatz.
Ich klopfte ihm als eine Art Gutenmorgengruß auf die Schulter, stellte mich neben ihn und versuchte heraus zu bekommen, was es wohl zu sehen gäbe.

Weber deutete mit dem Finger auf eine blitzblanke Karosserie: „Haben Sie schon gesehen? Mein neues Auto, heute morgen bekommen“, und dabei strahlte er über das ganze Gesicht.

„Toll“, sagte ich, „aber wir müssen los, in zwanzig Minuten fängt der Tag der offenen Tür an, und Sie müssen die Eröffnungsrede halten.“

Es wurde ein voller Erfolg, Weber fand genau die richtigen Worte. Er stellte das Unternehmen in seiner Dynamik treffend dar, lobte den Chef so geschickt, dass dieser sonst so gesammelte, fast ernsthafte Mann nahezu freudig Iächelte, die Leute drängten sich, und alle waren begeistert.
Auf dem Rasen vor dem Verwaltungsgebäude waren Tische und Bänke aufgebaut. Hier gab es Schatten und kühle Getränke für die Besucher, wenn sie ihren Rundgang durch die Firma beendet hatten oder unterbrechen wollten, um sich für eine Weile zu erholen.
Weber und ich setzten uns ganz an den Rand, wo wir einigermaßen ungestört waren, und ließen uns ein Bier kommen. Ich beglückwünschte ihn zu seiner guten, gelungenen Rede, und auf einmal stand ein Junge an unserem Tisch, 17 oder 18 Jahre alt, dunkelbraunes Haar und in einem lebhaften Kontrast dazu hellblaue Augen.
Er sah meinen Kollegen an: „Tag Vater“, und ganz plötzlich spürte ich, wie Weber sich innerlich veränderte, wie eine merkwürdige Kühle von seinem Wesen ausging, begleitet von einer fühlbaren Verkrampfung. „Das ist mein Sohn“, sagte er zu mir, und seine Stimme klang ganz anders als sonst.

Der Junge gab mir die Hand, stand noch einen Augenblick an unserem Tisch, so als warte er auf ein Wort seines Vaters, aber Weber betrachtete intensiv den Schaum auf seinem Bier und schwieg

„Was ist los?“ fragte ich, als sein Sohn weg war, „was stimmt nicht zwischen Ihnen beiden?“
Weber zuckte mit den Schultern: „Wir verstehen uns nicht mehr, er und ich. Auf alles, was ich tue oder meine, hat er eine Widerrede, er Iässt sich nichts mehr von mir sagen. Vor kurzem traf ich seinen Lehrer und erfuhr, dass sein Abitur gefährdet ist, weil er auch in der Schule nachlässt.
Als ich ihm neulich mit aller Energie gesagt habe, er soll sich endlich zusammenreißen, da hat er mich einfach stehen lassen, sich umgedreht und ist ohne ein Wort weggegangen. Da hat es zwischen uns gekracht. Ich habe ihm meine ganze Enttäuschung ins Gesicht geschrien.

„Haben Sie nicht an seinem Verhalten gemerkt, dass Ihr Sohn das Gespräch mit Ihnen sucht?“
„Der“, antwortete Weber, „der soll erst einmal lernen, wie man sich seinem Vater gegenüber benimmt, oder“, und sein Gesicht wurde, als er das sagte, ganz hart und abweisend.

Da reden wir Manager, dachte ich, so viel über Motivation, machen ganze Seminare dafür mit, wissen in der Theorie alles über diese Frage, und wenn es um die eigene Familie geht, wenn der Sohn in eine Entwicklungs- und Identifikationskrise kommt, versagen wir. Ausgerechnet in einer Situation, wo wir gefordert sind mit unserem Verständnis, unserer Geduld und mit unserer Liebe, die junge Leute gerade in dem Alter, wenn sie sich geistig und seelisch von den Eltern in einem schmerzhaften und problematischen Prozess abnabeln, in besonderer Weise brauchen.

Ich blickte auf Webers verschlossenes Gesicht und dachte daran, wie stolz er heute morgen auf sein neues Auto gewesen war und an sein Lächeln, als er merkte, wie gut seine Rede ankam. Aber selbst dann, so steht es im Neuen Testament, wenn wir wie mit Engelszungen zu reden vermöchten, hätte es keinen Wert für unser Leben, wenn das Herz ohne Liebe wäre. Und wenn wir noch so viele Kenntnisse und Erkenntnisse hätten, aber keine Liebe, wir wären nichts.

Wann hatte ich selber meiner Frau und meinen Kindern zuletzt gesagt, dass ich sie liebte? Ich war ihnen oft genug entgegengekommen mit meinen Erwartungsmodellen und Vorstellungen, aber mit Liebe?

Was hatte Paulus da weiter geschrieben, an die Leute in Korinth?: “Die Liebe ist geduldig, sie ist langmütig, die Liebe ist gütig, sie ereifert sich nicht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf, sie Iässt sich nicht zum Zorn reizen, und sie trägt das Böse nicht nach.“

Vor vielen Jahren sprach ich mit meinem Freund Wolfgang Dyck über diese Stelle aus dem 1. Korinther-Brief, begeistert von der Sprachgewalt und Kraft dieses 13. Kapitels.
Er sah mich lange und aufmerksam an und sagte: „Schön, und jetzt lies das alles noch einmal durch, und überall dort, wo das Wort Liebe steht, da setzt du deinen Namen ein, dann wird aus deiner Begeisterung Erkenntnis.“

Das alles werde ich Weber sagen müssen.

 

Karlheinz Binder

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510. Nachdenkliches für Manager – Inkognito 5-90

Dienstag, 20. Oktober 2015 | Autor:

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Inkognito
„Ich möchte mich“, schrieb mir Mathias Born, „im Namen unserer ganzen Familie herzlich bei Ihnen für die guten, ehrenden Worte bedanken, die Sie am Grab meines Vaters gesprochen haben.“

Ich blickte auf den schwarzen Rand des Briefbogens. Keine vier Wochen war es her, als Roland Born mit einem Herzinfarkt ins Krankenhaus kam, ein paar Tage später starb er, gerade eben 56 Jahre alt.
Mit 62 wollte er in Pension gehen, um noch etwas von seinem Leben zu haben. Und als wir einmal darüber redeten und ich ihn fragte, wer denn später als sein Nachfolger in Frage kommen könne, fingen wir beide wie in stiller Übereinkunft an zu lächeln und vertagten das Thema, weil wir meinten, noch so viel Zeit zu haben. Aber wir hatten vergessen, was in der Bibel bei Hiob steht: „Der Mensch verfügt über eine bestimmte Zeit, die Zahl seiner Jahre steht bei Dir, Gott, Du hast ein Ziel und ein Ende gesetzt.“

Alles das sagte ich in meinem Nachruf. Ich sprach über die 18 Jahre der kollegialen Arbeit, der gemeinsamen Erfolge, der vielen Erlebnisse und Gespräche, die zwischen uns ein Verhältnis entstehen ließen, das mehr war, als das im Geschäftsleben Übliche: Freundschaft.
„Er wird uns fehlen, dieser Roland Born, mit seiner ruhigen, zuverlässigen Art, seinen Erfahrungen, seinem Fleiß, seiner stillen, selbstverständlichen Hilfsbereitschaft und seinem Rat“, hatte ich geschlossen und dabei um die Festigkeit meiner Stimme gekämpft.

Ich merkte, wie mich die Erinnerungen wieder übermannten und konzentrierte mich willentlich und ganz bewusst auf das, was Mathias Born mir da in seinem Brief weiter geschrieben hatte:“Mein Vater“, stand da, „war Ihnen nicht zuletzt deshalb so sehr verbunden, weil er, genau wie Sie, Zeit seines Lebens ein überzeugter und engagierter Christ gewesen ist.“

Mit einem Anflug von Verblüffung las ich diesen Satz ein zweites Mal.
Richtig, Roland Born war ein guter, gerechter, liebenswerter Mensch, ich hielt ihn über all die Jahre für einen edlen Humanisten, der Anerkennung und Achtung verdiente, aber dass er ein wahrhaftiger, aktiver Christ gewesen wäre, das war mir nicht aufgefallen. Nie hatte er darüber gesprochen, sich nie dazu bekannt.

Was sind das für Christen, dachte ich, die sich ihr ganzes Leben bedeckt halten? Die eine Hoffnung haben und niemals sagen, dass diese Hoffnung einen Namen hat, den, nach dem sie sich nennen: Jesus Christus?

War es nicht genauso wichtig, wie etwas in dieser Welt zu tun, auch deutlich zu erklären, warum wir so handeln? Was Grund und Anlass unserer Nächstenliebe ist? Wie denn sonst konnte Evangelium in der Praxis, vor Ort, transportiert werden? Als eine Botschaft, die eben keine Privatsache ist?

Und als meine Verblüffung anfangen wollte, eine ganz sachte Färbung von Enttäuschtsein anzunehmen, überlegte ich: Befand sich mein alter Freund und Mitarbeiter Roland Born mit seinem Verhalten nicht mitten in diesem Christlichen Abendland in einer großen, solidarischen Gesellschaft der Lauheit und des Verschweigens?
Und wie war das mit mir? War ich nicht lange genug selber so gewesen?

Als Christus seine Jünger aussandte, wie es im Matthäus-Evangelium steht, damit sie die Botschaft verkündigen und zum Nachdenken und zur Umkehr aufrufen sollten, da gab er ihnen auf den Weg: „Wenn ihr in eine Stadt oder ein Dorf kommt, erkundigt euch, ob jemand darin wohnt, der es wert ist, und bei dem bleibt.“
Was wäre, wenn morgen einer in meinen Wohnort, meinen Bezirk oder auch nur in meine Strasse käme und er sagte: „lch möchte bei jemandem übernachten, der es wert und ein wirklicher Christ ist“, würde dann mein Name genannt?

Und ihrer?

 

Karlheinz Binder

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509. Nachdenkliches für Manager – Fallstudie 4-90

Dienstag, 20. Oktober 2015 | Autor:

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Fallstudie

Die ganze Woche und auch diesen halben Sonnabend hatte es fast ununterbrochen geregnet. Ein stationäres Tief, wie der Wetterbericht sagte, aber als ich am frühen Nachmittag auf die Terrasse trat, zogen gerade die letzten fransigen Wolken weg und machten Platz für einen weiten, überraschend blauen, sonnigen Himmel.

„Wenn es so bleibt“, sagte meine Frau, „könnten wir nachher draußen Kaffee trinken.“ Ich nickte, wischte den Tisch und die Stühle trocken, ergriff meine Notizen für die Rede, die ich morgen, am Sonntagnachmittag, bei einem wichtigen Geburtstag halten sollte, setzte mich nieder und genoss die Wärme.
Aus der Küche hörte ich das Klappern der Kuchenteller und Tassen, die blubbernde Kaffeemaschine schickte ihre verheißungsvollen Düfte durch die offene Tür zu mir heraus, und das Zusammenwirken aller dieser erfreulichen Komponenten beflügelte meine rhetorische Kreativität. Ich wusste plötzlich, wie ich den Höhepunkt meiner geburtstägigen Laudatio formulieren sollte. Es würde ein Schluss, der so gut und stark war, dass ich mir wünschte, so etwas möge einer mir selber mal sagen. Charakter und Persönlichkeit, Willensstärke und Geradlinigkeit würde ich dem Jubilar bescheinigen, Zielbewusstsein und Standfestigkeit. Eigenschaften, die in einer Zeit, wo jeder zweite Satz mit „ich würde sagen“ anfängt, kostbaren Seltenheitswert haben.

Als meine Frau mich erfolglos zum dritten mal fragte, ob ich Sahne zum Kuchen wolle, kam sie auf die Veranda hinaus und sah mich intensiv schreiben.
Ich nickte ihr zu, faltete mein Manuskript zusammen, legte es auf die Seite: „Fertig!“
Dann lehnte ich mich entspannt zurück, schaute hinauf zum sonnigen Himmel, in die weit ausladende Krone der Birke, und da fiel es mir wieder ein, was ich seit Wochen vorhatte: „Ich sollte endlich diesen großen Seitenast absägen“, sagte ich, „er nimmt uns zuviel Licht weg.“
Nach dem Kaffeetrinken ging ich in die Garage, nahm die große Bockleiter von der Wand, trug sie in den Garten, holte Säge und Arbeitshandschuhe, und dann kletterte ich hinauf, Sprosse um Sprosse und war überrascht, wie anders alles von dieser Höhe aus wirkte.
Meine Arbeit machte gute Fortschritte, als es geschah: Durch den langen Regen war der Rasen weich geworden, die beiden rechten Füße der Leiter versanken, unabwendbar kam der Moment, wo, wie der Physiker sagen würde, der Schwerpunkt aus dem Standbereich auswanderte, und sie fiel um. Ich registrierte mit erstaunlich präziser Sachlichkeit, wie schnell ein Mensch in solch einer Situation denken und handeln kann: Zuerst warf ich die Säge in einem weiten Bogen fort und stellte dann mit einem einzigen Blick fest, da war kein Ast, der mich hätte halten und retten können. Es gab nur zwei Alternativen: Mit der Leiter gemeinsam zu stürzen, womöglich in den Gartenzaun, oder mich im Absprung von ihr zu trennen, und ich sprang.

Obwohl ich versuchte, den Aufprall mit Füssen und Beinen abzufedern, war er hart und heftig, es schlug mich förmlich zusammen, und ich blieb eine ganze Weile still auf der Erde liegen, spürte die Nässe des Bodens und des Grases.
So schnell geht das also, dachte ich, von ganz oben nach ganz unten, von der Vogel- in die Frosch-Perspektive. Was würde aus meiner wichtigen Rede morgen? Und aus dem Geschäftsbesuch am Montag, der Besprechung mit dem Chef am Dienstag, der Sitzung in Hamburg am Mittwoch?
Ich bewegte mich vorsichtig. Hatte ich irgendwo Schmerzen? Schien etwas gebrochen? Anscheinend nicht. Und wenn innerlich etwas kaputt ist, überlegte ich, hat
dann alles noch Relevanz, morgen, Montag, Dienstag, Mittwoch?

Da fühlen wir uns so stark und sicher auf unserer hohen Warte. So wichtig und unentbehrlich mit unserem gefüllten Terminkalender. Kein Tag ohne Eintragungen.

„Nun aber zu euch“, schreibt der Apostel Jakobus an die vielbeschäftigten Manager seiner Zeit, „die ihr sagt: Heute oder morgen werden wir in diese oder jene Stadt reisen. Dort werden wir Geschäfte machen und viel Geld verdienen. Woher wisst Ihr denn, was morgen sein wird? Was ist euer Leben? Es gleicht dem Morgennebel, der vom Boden aufsteigt und sich wieder auflöst. Sagt lieber: Wenn Gott es will, werden wir leben und dieses oder jenes tun. Und seid nicht stolz und überheblich.“

Was hatte ich mir vor noch nicht einmal 20 Minuten gewünscht? Dass mir auch einmal jemand eine Rede halten möge, um mir zu bescheinigen, was ich doch für ein standfester Charakter sei, was für ein wichtiger Mensch. Wenn der uns drei jetzt hier liegen sähe, die Leiter, die Säge und mich?

Ich rappelte mich auf, und als ich ins Haus hinkte, sah mich meine Frau erschrocken an. Mit ein paar Worten erklärte ich ihr die Sachlage, griff nach meinem Manuskript für den Geburtstag, und als meine Frau mit Erstaunen sagte „Du Iächelst ja“, antwortete ich: „Es gibt Fallstudien, an denen lernt man tatsächlich. Ich werde meine Rede für morgen wohl umschreiben müssen.“

 

Karlheinz Binder

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508. Nachdenkliches für Manager – Stoppsignal 3-90

Dienstag, 20. Oktober 2015 | Autor:

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Stoppsignal

„Marianne Brenk hat uns geschrieben“, sagte meine Frau, als ich vom Büro nach Hause kam, „sie und ihr Mann laden uns zu sich ein, wenn wir am übernächsten Wochenende in Düsseldorf sind. Es bleibt doch dabeit, daß Du zur Messe fährst und mich mitnimmst, oder?“ Ich nickte betont energisch: „Selbstverständlich und auf Ehre!“

Kurt Brenk und ich hatten seit Jahren geschäftlich miteinander zu tun, und auf einem Kongress-Gesellschaftsabend mit Frauen lernten wir uns endlich auch einmal als Ehepaare kennen und verstanden uns spontan.
Es gab eine ganze Reihe von Gemeinsamkeiten und gegenseitigen Ergänzungen, aber über die freundschaftliche Formulierung: „Falls Sie einmal in der Gegend bei uns zu tun haben, wäre es sehr schön, wenn …“ waren wir nicht hinausgekommen. Zu wenig Zeit, zu viel Anspannung und Turbulenz.
Ich freute mich auf das Treffen mit den Brenks und war neugierig auf ihr Heim und ihre Kinder.

Trotz des starken Messeschluss-Verkehrs waren wir auf die Minute pünktlich. Das Haus von Kurt und Marianne Brenk gefiel uns auf den ersten Blick. Alles an ihm war solide und gediegen, kein funktionsloser, modischer Zierrat, keine angeberischen Grenzfälle. Der ganze Bau ruhte in einer fast unauffälligen Harmonie in sich, stand auf dem Grundstück genau an der richtigen Stelle und alle Proportionen stimmten.

Die Begrüßung war zwanglos und herzlich, fast wie unter alten Freunden. Die drei Kinder unbefangen, fröhlich, frei von irgendwelchen Dressurschädigungen, die ehrgeizige Eltern ihnen so gerne mit falschem Stolz zufügen. Alles schien auf eine natürliche Weise perfekt. Ohne Fehl und Tadel?

Während die beiden Frauen mit den Kindern im Haus einen Plausch machten, gingen wir zwei Männer durch den Garten, angelegt und gepflegt durch einen Könner, der mit sicherem Gespür trotz energisch ordnender Hand die Ursprünglichkeit der Natur bewahrte. Ich sagte das zu Kurt Brenk. Er strahlte und entgegnete nicht ohne Stolz, der Gärtner sei er selber. Und so kam das Gespräch auf unsere Hobbies, von dort auf das Geschäft, wie es im Augenblick in der Branche aussah, was wir planten und was wir geschafft hatten. Menschen, die wussten, was sie wollten und was sie konnten.

Gegen Abend versammelten wir uns alle um den großen Bauerntisch im Esszimmer. Kurt Brenk schaute mit einem frohen Lächeln in die Runde, zu meiner Frau, zu der seinen, zu mir, zu seinen Kindern. Er nickte uns zu und sagte: „Guten Appetit“, und als wir alle nach Messer und Gabel griffen, sagte plötzlich eine kleine, entschlossene Stimme: „Halt!“
Es war, als habe man einen Film gestoppt, Stillstandsprojektion. Nur unsere Blicke wanderten zur Urheberin dieser überraschenden Situation, zur jüngsten Tochter, Gabriele, knapp vier Jahre alt. Und in den fragenden Gesichtsausdruck ihres Vaters hinein sagte sie: „Erst müssen wir beten, im Kindergarten machen wir das auch.“

Niemals zuvor hatte ich Kurt Brenk unsicher erlebt, aber jetzt war seine Verlegenheit spürbar. Seine Frau Marianne blinzelte der Kleinen zu: „Machst du es?“
Wir falteten alle die Hände und hörten, wie die Kinderstimme sagte: „Lieber Gott, ich danke Dir für Vati und Mutti und für meine Geschwister und für unseren lieben Besuch, für mein schönes Kinderzimmer und für das gute Essen, Amen.“
„Amen“, sagten wir alle, und es hörte sich nachdenklich an.

Wie vieles hatten wir vorhin im Garten über unsere beruflichen, gesellschaftlichen und sozialen Aktivitäten geredet, und alle unsere Erfolge erschienen uns so selbstverständlich, weil wir tüchtig und engagiert waren. Wir halten es für selbstverständlich, Tag für Tag reichlich Essen auf dem Tisch zu haben, schmackhaft und dekorativ angerichtet. Ein wohnliches, gemütliches Haus zu besitzen. Gesunde, fröhliche Kinder zu haben, eine liebenswerte Ehefrau, ein gesichertes Einkommen, und wir denken nicht mehr darüber nach, dass alles das eben nicht selbstverständlich ist. Fühlen wir uns zu sicher? Macht uns das vergesslich, gleichgültig, undankbar?

Hat Gott deshalb seinem Volk Israel beim Einzug in das Gelobte Land die warnende Mahnung mitgegeben: „Wenn du gegessen hast und satt bist, dir schöne Häuser baust und darin wohnst, sich dein Vermögen und dein Besitz mehren, dann achte darauf, dass dein Herz nicht überheblich wird und sagt: Meine Kräfte, meine Tüchtigkeit haben das alles geschaffen. Sondern gedenke an Gott, deinen Herrn, denn er ist es, der dir die Kraft gegeben hat!“

Sollten wir Grossen in manchen Beziehungen wieder werden wie die Kinder?
Uns herunterbücken auf das Niveau ihrer Perspektive? Wo uns nicht die Höhenluft des Erfolges, unserer Bedeutung und unserer Tüchtigkeit die selbstkritische Objektivität vernebelt?

Müssen wir vorzeigbaren, aufgeklärten und so selbstbewussten Geschäftsleute wieder neu von den Kindern lernen, was Gott gegenüber Dankbarkeit heißt?

 

Karlheinz Binder

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507. Nachdenkliches für Manager – Die falsche Tür 2-90

Dienstag, 20. Oktober 2015 | Autor:

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Die falsche Tür
Für übermorgen Mittag hatten sie sich bei uns angemeldet, Anton Wittersdorf und seine engsten Mitarbeiter. Sie waren mit ihrem respektablen Unternehmen wichtige Kunden für uns, und wir würden ihnen einen angemessenen Empfang bereiten. Nicht übertrieben, Wittersdorf liebte das nicht, aber auch nicht eine Nummer zu klein, das stand unserem Haus nicht an. Eine gute Rede wollte ich ihnen halten mit einem herzlichen Willkommen und Dank für die Art und Weise, wie sich unsere Geschäftsbeziehungen entwickelt und gestaltet hatten.

Während ich den langen Büroflur zur Werbeabteilung hinunterging, um dort noch einige letzte Einzelheiten zu klären, dachte ich konzentriert darüber nach, wie ich das alles formulieren könnte, wo gedankliche und rhetorische Schwerpunkte zu setzen seien und wann ich wohl am besten redete, zum Aperitif oder zwischen zwei Gängen des gemeinsamen Essens? Und noch ganz versunken in meine Überlegungen irrte ich mich in der richtigen Tür und stand nicht im Büro des Werbeleiters, sondern ganz plötzlich in dem von Jürgen Reichmann.

Wir sahen uns beide im ersten Moment verblüfft an, aber ich fing mich einen Moment schneller als er, ging um seinen Schreibtisch herum, nahm seine Hand und sagte: „Hallo, ich wollte einfach mal sehen, wie es Ihnen geht, Jürgen, wir haben uns so lange nicht mehr gesehen“, und ganz tief in mir fühlte ich mich traurig, weil ich ihn belog.

Er setzte sich mühsam und mit unsicheren Bewegungen in seinem Rollstuhl zurecht, deutete mit dem Kopf auf einen Besuchersessel und sagte mit Anstrengung: „Bitte setzen Sie sich.“

Eine ganze Weile sahen wir uns wortlos an, und ich erinnerte mich an die Zeit vor einigen Jahren. So manchen Kunden hatten wir zusammen für unsere Firma gewonnen. In langen, zähen Verhandlungen Aufträge hereingeholt. Da war die lange Schnee-Nacht mitten im Winter auf der Geislinger Steige. Die Autobahn spiegelglatt, Lastzüge hatten sich am Berg festgefahren, nichts lief mehr, Stunde um Stunde. Jürgen Reichmann und ich redeten zuerst über das Geschäft, unsere PIäne, unsere Erfolge, und dann wurde es persönlicher, wir kamen auf die Familie zu sprechen, die Kinder, was sie einmal werden wollten, wenn sie die Ausbildung hinter sich hatten, und es entstand so etwas wie Kameradschaft zwischen uns.

Ein paar Monate später wurde er krank. Seine Hände begannen zu zittern, seine Füße versagten, die Muskulatur funktionierte nicht mehr und die Ärzte eröffneten ihm: Multiple Sklerose. Er fehlte immer öfter und wir verloren allmählich den direkten Kontakt zueinander, die Kollegialität Iöste sich auf. Ein- oder zweimal versuchte ich, ihn zu besuchen, aber da war er gerade zu einer speziellen Kur weg, und ich ließ es dabei, mit einem schlechten Gewissen. Und nun, ganz plötzlich, ganz unerwartet, dieses Zusammentreffen. Alles an ihm hatte sich verändert, nur sein Blick war noch wie früher, aufmerksam, wach, offen.

Ich überlegte: Was ging in einem solchen Mann vor, der immer voller Tatkraft und Dynamik gewesen war, robust und fröhlich. Jetzt saß er im Rollstuhl, nicht mehr fähig, seine Bewegungen zu koordinieren und zu kontrollieren, ein Pflegefall. Zerstört durch eine tückische Krankheit, die einen ohne sichtbaren Grund überfällt.
Musste er nicht mit seinem Leben hadern, der Verzweiflung nahe sein, ganz dicht daran, wo es finster wird in unserer Seele?

„Ich freue mich“, sagte Jürgen Reichmann ganz langsam, und er sah zum Fenster hinüber „ich freue mich an jedem so herrlichen Tag wie heute und bin Gott dankbar, dass ich leben kann. Ich habe durch diese Krankheit zurückgefunden zu meinem Glauben, und ich habe in mir einen ganz tiefen Frieden. Ich weiß mich und meine Familie geborgen, was immer auch geschieht. Ich muss nicht traurig sein wie die, die keine Hoffnung haben. Außer Denken kann ich nicht mehr viel arbeiten, aber ich bete viel, auch für Sie.“

Ich saß wortlos und tief betroffen auf meinem Stuhl und merkte, wie mir die Augen feucht wurden. Muss manch einer von uns erst so schwach werden, damit Gott in ihm mächtig wird? Da war nicht ein Wort der Klage oder des Vorwurfs, dass wir Kollegen ihn alle im Stich gelassen hatten, weil das Tagesgeschäft uns wichtiger war, weil wir ihm aus Ratlosigkeit hilflos auswichen.

Ich stand schweigend auf, und als wir uns die Hand gaben, wussten wir es beide, jetzt waren wir Freunde.

 

Karlheinz Binder

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