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511. Nachdenkliches für Manager – Tag der offenen Tür 6-90

Dienstag, 20. Oktober 2015 | Autor:

Lieber Blog Besucher,

die tiefsinnigen Gedanken von Karlheinz Binder haben mich viele Jahre erfreut und immer wieder zum Nachdenken angeregt. Genießen Sie diese Worte und nehmen Sie davon etwas in Ihrem Alltag mit.

 

 

Tag der offenen Tür
Als ich das Zimmer meines Kollegen Weber betrat, stand er mit dem Rücken zur Tür am Fenster und schaute konzentriert hinunter auf den Parkplatz.
Ich klopfte ihm als eine Art Gutenmorgengruß auf die Schulter, stellte mich neben ihn und versuchte heraus zu bekommen, was es wohl zu sehen gäbe.

Weber deutete mit dem Finger auf eine blitzblanke Karosserie: „Haben Sie schon gesehen? Mein neues Auto, heute morgen bekommen“, und dabei strahlte er über das ganze Gesicht.

„Toll“, sagte ich, „aber wir müssen los, in zwanzig Minuten fängt der Tag der offenen Tür an, und Sie müssen die Eröffnungsrede halten.“

Es wurde ein voller Erfolg, Weber fand genau die richtigen Worte. Er stellte das Unternehmen in seiner Dynamik treffend dar, lobte den Chef so geschickt, dass dieser sonst so gesammelte, fast ernsthafte Mann nahezu freudig Iächelte, die Leute drängten sich, und alle waren begeistert.
Auf dem Rasen vor dem Verwaltungsgebäude waren Tische und Bänke aufgebaut. Hier gab es Schatten und kühle Getränke für die Besucher, wenn sie ihren Rundgang durch die Firma beendet hatten oder unterbrechen wollten, um sich für eine Weile zu erholen.
Weber und ich setzten uns ganz an den Rand, wo wir einigermaßen ungestört waren, und ließen uns ein Bier kommen. Ich beglückwünschte ihn zu seiner guten, gelungenen Rede, und auf einmal stand ein Junge an unserem Tisch, 17 oder 18 Jahre alt, dunkelbraunes Haar und in einem lebhaften Kontrast dazu hellblaue Augen.
Er sah meinen Kollegen an: „Tag Vater“, und ganz plötzlich spürte ich, wie Weber sich innerlich veränderte, wie eine merkwürdige Kühle von seinem Wesen ausging, begleitet von einer fühlbaren Verkrampfung. „Das ist mein Sohn“, sagte er zu mir, und seine Stimme klang ganz anders als sonst.

Der Junge gab mir die Hand, stand noch einen Augenblick an unserem Tisch, so als warte er auf ein Wort seines Vaters, aber Weber betrachtete intensiv den Schaum auf seinem Bier und schwieg

„Was ist los?“ fragte ich, als sein Sohn weg war, „was stimmt nicht zwischen Ihnen beiden?“
Weber zuckte mit den Schultern: „Wir verstehen uns nicht mehr, er und ich. Auf alles, was ich tue oder meine, hat er eine Widerrede, er Iässt sich nichts mehr von mir sagen. Vor kurzem traf ich seinen Lehrer und erfuhr, dass sein Abitur gefährdet ist, weil er auch in der Schule nachlässt.
Als ich ihm neulich mit aller Energie gesagt habe, er soll sich endlich zusammenreißen, da hat er mich einfach stehen lassen, sich umgedreht und ist ohne ein Wort weggegangen. Da hat es zwischen uns gekracht. Ich habe ihm meine ganze Enttäuschung ins Gesicht geschrien.

„Haben Sie nicht an seinem Verhalten gemerkt, dass Ihr Sohn das Gespräch mit Ihnen sucht?“
„Der“, antwortete Weber, „der soll erst einmal lernen, wie man sich seinem Vater gegenüber benimmt, oder“, und sein Gesicht wurde, als er das sagte, ganz hart und abweisend.

Da reden wir Manager, dachte ich, so viel über Motivation, machen ganze Seminare dafür mit, wissen in der Theorie alles über diese Frage, und wenn es um die eigene Familie geht, wenn der Sohn in eine Entwicklungs- und Identifikationskrise kommt, versagen wir. Ausgerechnet in einer Situation, wo wir gefordert sind mit unserem Verständnis, unserer Geduld und mit unserer Liebe, die junge Leute gerade in dem Alter, wenn sie sich geistig und seelisch von den Eltern in einem schmerzhaften und problematischen Prozess abnabeln, in besonderer Weise brauchen.

Ich blickte auf Webers verschlossenes Gesicht und dachte daran, wie stolz er heute morgen auf sein neues Auto gewesen war und an sein Lächeln, als er merkte, wie gut seine Rede ankam. Aber selbst dann, so steht es im Neuen Testament, wenn wir wie mit Engelszungen zu reden vermöchten, hätte es keinen Wert für unser Leben, wenn das Herz ohne Liebe wäre. Und wenn wir noch so viele Kenntnisse und Erkenntnisse hätten, aber keine Liebe, wir wären nichts.

Wann hatte ich selber meiner Frau und meinen Kindern zuletzt gesagt, dass ich sie liebte? Ich war ihnen oft genug entgegengekommen mit meinen Erwartungsmodellen und Vorstellungen, aber mit Liebe?

Was hatte Paulus da weiter geschrieben, an die Leute in Korinth?: “Die Liebe ist geduldig, sie ist langmütig, die Liebe ist gütig, sie ereifert sich nicht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf, sie Iässt sich nicht zum Zorn reizen, und sie trägt das Böse nicht nach.“

Vor vielen Jahren sprach ich mit meinem Freund Wolfgang Dyck über diese Stelle aus dem 1. Korinther-Brief, begeistert von der Sprachgewalt und Kraft dieses 13. Kapitels.
Er sah mich lange und aufmerksam an und sagte: „Schön, und jetzt lies das alles noch einmal durch, und überall dort, wo das Wort Liebe steht, da setzt du deinen Namen ein, dann wird aus deiner Begeisterung Erkenntnis.“

Das alles werde ich Weber sagen müssen.

 

Karlheinz Binder

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Thema: Nachgedacht

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