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515. Nachdenkliches für Manager – Sicht null 11-90

Dienstag, 20. Oktober 2015 | Autor:

Lieber Blog Besucher,

die tiefsinnigen Gedanken von Karlheinz Binder haben mich viele Jahre erfreut und immer wieder zum Nachdenken angeregt. Genießen Sie diese Worte und nehmen Sie davon etwas in Ihrem Alltag mit.

 

Sicht null
Ich machte die Scheinwerfer aus, stellte Scheibenwischer und Motor ab, schloss die Wagentür und ging durch den grauen Nieselregen hinüber zum Gebäude des kleinen Regional-Flughafens.
„Ein trostloser Morgen“, sagte mein Kollege Weber zu mir, als wir uns im Warteraum trafen. Ich legte meine Hand auf seine Schulter und nickte.

Der Kopilot holte uns ab und führte uns zu der zweimotorigen Reisemaschine, die uns zur Sitzung nach Saarbrücken fliegen sollte.
Der Pilot saß schon im Cockpit, und als wir einstiegen, drehte er sich zu uns um: „Bitte bleiben Sie nachher die ganze Zeit angeschnallt, es wird ein bisschen unruhig und schaukelig werden. Wir dürfen heute nicht über 8000 Fuß, weil weiter oben Manöver sind.“

Er ließ den Vorhang zum Passagierraum offen, und ich konnte von meinem Platz aus zusehen und zuhören, wie sie die Checkliste durchgingen. Sie starteten die beiden Triebwerke, setzten die Klappen und rollten zum Start.
Wir hatten kaum abgehoben, da waren wir schon mitten in der geschlossenen Wolkendecke, Sicht null.

Ich sah angestrengt aus dem Fenster und konnte noch nicht einmal mehr das Ende der Tragfläche erkennen, nur den gedämpften, rhythmisch aufzuckenden Widerschein der Begrenzungsleuchte.

„Möchten Sie einen Kaffee“, fragte uns einer der beiden Flugzeugführer und zeigte mit dem Finger auf den Automaten, der seine Lieferbereitschaft durch ein rotes Kontrolllicht kundtat.
„Nein danke“, riefen Weber und ich völlig simultan, und wir lachten noch nicht einmal dabei.

Auf dem Radarschirm wanderte der schmale Suchstrahl wie ein Scheibenwischer unablässig hin und her und hinterließ bizarre Konturen und in ihnen helle Punkte. Ob das wohl die Militärmaschinen weiter oben waren? Und ob sie auch uns in der Ortung hatten?

Wir erreichten die vorgeschriebene Höhe und gingen in den Horizontalflug über.
Draußen war noch immer absolut nichts zu erkennen, nur graue Düsternis aus der die Nässe waagrechte Regenbahnen über die Fenster zog.
Im Bordlautsprecher, den die Piloten eingeschaltet hatten, meldete sich die frequenzverzerrte Stimme eines Fluglotsen und gab für mich nicht verstehbare Anweisungen Die Maschine legte sich spürbar auf die Seite, änderte den Kurs, und immer wieder kamen neue Instruktionen.
Ich hatte jede Orientierung verloren, für rechts und links, oben und unten. Nach meinem Gefühl flogen wir eine Kurve nach der anderen, und dann kamen die ersten Turbulenzen. Unvermittelt und heftig.
Weber zog seine Jacke aus, schnallte sich wieder an und verkrampfte sich in seine Konferenz-Unterlagen. Ob er Angst hatte?

Da sind unter deinen Füssen ein paar Spanten, wenige Millimeter Aluminium und dann runde 3000 Meter nichts, überlegte ich. Über uns superschnelle Jäger, um uns herum totale Sichtlosigkeit und in mir ein gegen die Schaukelei ankämpfender Magen und das beklemmende Gefühl des hilflosen Ausgeliefertseins.
Wenn auch in Saarbrücken die Wolken bis fast auf den Boden reichten, würden wir überhaupt die Landebahn finden?

Vor ein paar Jahren hatte es in einer Illustrierten die Serie gegeben: „Runter kommen sie immer!“
Ich fing an, mich an Einzelheiten aus den Tatsachenberichten zu erinnern und immer wieder musste man feststellen: Das schwächste Glied in der Kette der Absicherungen war der Mensch selber. Ob die zwei da vorn überhaupt noch wussten, wo wir waren?
Wenn man wenigstens etwas sehen könnte. Einen Horizont hätte, auf den hin Orientierung möglich wäre. Irgendeinen festen Punkt, an den sich Auge, Gleichgewichtsgefühl und Zuversicht klammern könnten.

Das Flugzeug stieß steil nach unten. Ich hörte die Elektromotoren der Landeklappen summen, das Fahrwerk polterte aus dem Schacht, in ungefähr 200 Meter Höhe kamen wir aus den Wolken und genau vor uns lagen die beiden langen Lampenreihen der Rollbahnbegrenzung.
Als die Triebwerke stillstanden, kam der Pilot zu uns nach hinten, betrachtete lächelnd unsere blassen Nasen und gab uns wortlos die Hand.

Auf der Fahrt in die Stadt setzte ich mich hinten in das Taxi, schloss die Augen und dachte nach: Wie oft hatte es in meinem Leben ähnliche Situationen gegeben. Ereignisse, die Ratlosigkeit und Angst in meine routinierte Sicherheit einbrechen ließen. Wo ich im Augenblick keine Lösung sah, nicht den berühmten Silberstreif am Horizont, nur perspektivlose Finsternis, Sicht null.

Dem Propheten Jesaja war es genauso ergangen, bis an die Grenze der Verzweiflung und mitten in einer solchen Phase hatte er niedergeschrieben: „Der im Finsteren wandelt und es scheint ihm kein Licht, der hoffe auf den Namen des Herrn und verlasse sich auf seinen Gott.“
Woher nahm er diese Zuversicht? Aus seinem unbedingten Vertrauen zu Gott?
Erinnerte er sich dabei an König Davids Sätze aus dem Psalm 139? „Herr, Du durchschaust mich, Du kennst mich durch und durch. Ob ich sitze oder stehe, Du weißt es. Du kennst alle meine Pläne. Ob ich tätig bin oder ausruhe. Du siehst mich. Jeder Schritt, den ich mache, ist Dir bekannt. Noch ehe ein Wort mir auf die Zunge kommt, hast Du, Herr, es schon gehört. Von allen Seiten umgibst Du mich, ich bin ganz in Deiner Hand.“
Und ein paar Zeilen weiter: „Steige ich hinauf in den Himmel: Du bist da. Fliege ich dorthin, wo die Sonne aufgeht, oder zum Ende des Meeres, wo sie versinkt, auch dort wird Deine Hand nach mir greifen, auch dort lässt Du mich nicht los. Durchforsche mich, Gott, sieh mir ins Herz, prüfe meine Wünsche und Gedanken. Und wenn ich in Gefahr bin, mich von Dir zu entfernen, dann bring mich zurück auf den Weg zu Dir.“

Danke Jesaja, danke David für solche Worte, obwohl ihr nie nach Saarbrücken geflogen seid.

 

Karlheinz Binder

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Thema: Nachgedacht

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