193. Ein Wort an einen Protestanten
Freitag, 31. Dezember 2010 | Autor: intern
Gemälde von Michael Willfort
Ein Wort an einen Protestanten
1. Bezeichnest du dich nicht als Protestant? Warum eigentlich? Weißt du, was das Wort bedeutet? Was ist ein Protestant? Ich nehme an, du meinst damit einen, der kein Papist ist. Aber was ist ein Papist? Wenn du es nicht weißt, dann sage es, gib zu, daß du es nicht erklären kannst. Ist das nicht der Fall? Du nennst dich selber einen Protestanten, aber du weißt nicht, was ein Protestant ist. Du redest gegen Papisten, und doch weißt du nicht, was ein Papist ist. Warum täuschst du dann eine Kenntnis vor, die du nicht besitzt? Warum verwendest du Worte, die du nicht verstehst?
2. Hast du den Wunsch, die Bedeutung dieser Worte, Papist und Protestant, zu kennen? Ein Papist ist jemand, der den Papst oder Bischof von Rom (der Name Papa, das heißt Vater, wurde früher allen Bischöfen gegeben) für das Oberhaupt der gesamten christlichen Kirche hält und die Kirche von Rom – oder die, die den Papst als Oberhaupt hat – für die einzige christliche Kirche.
3. Im Laufe der Jahre haben sich viele Fehler in diese Kirche eingeschlichen, über die sich gute Menschen von Zeit zu Zeit beschwert haben. Schließlich bestellte der Papst vor ungefähr 200 Jahren viele Bischöfe und andere Personen zu einer Zusammenkunft in einer Stadt in Deutschland namens Trient. Anstatt jedoch diese Irrtümer zu berichtigen, legten sie diese gesetzlich fest und überlieferten sie somit an alle nachfolgenden Generationen.
4. Von diesen Irrtümern sind zu nennen: ihre Doktrin der sieben Sakramente, die Transsubstantiation, das Weglassen des Kelches beim Abendmahl, das Fegefeuer und die Gebete für die Toten darin, die Verehrung von Reliquien und die Ablässe oder vom Papst gewährte Sündenerlasse, die man für Geld kaufen konnte. Einige Leute meinen, daß diese Irrtümer, so groß sie auch sein mögen, nur die Reinheit des Christentums beschmutzen; aber es ist ganz sicher, daß die folgenden Punkte genau auf seine Wurzeln zielen und darauf hinwirken, die wahre Religion von der Welt zu verbannen.
5. Erstens: Die Lehre der Selbstgerechtigkeit. Die absolute Grundlage des Christentums ist, daß ein Mensch sich vor Gott nichts als eigenen Verdienst anrechnen kann; daß wir „umsonst durch seine Gnade und durch die Vergebung, die in Christus Jesus ist“, gerecht werden, nicht durch unsere Werke oder unsere Verdienste, sondern durch den Glauben an das Blut des Bundes. Aber die Papisten behaupten, daß ein Mensch durch seine Werke das ewige Leben verdient oder Anspruch darauf hat und daß wir nicht nur durch den Glauben an Christus allein, sondern durch den Glauben und die Werke zusammen gerecht werden. Diese Lehre trifft genau den Kernpunkt des christlichen Glaubens, die einzige Grundlage wahrer Religion.
6. Zweitens: Die Lehre von dem Gebet zu Heiligen und von der Verehrung von Bildnissen. Zu der Jungfrau Maria beten sie mit folgenden Worten: „Oh Mutter Gottes, oh Königin des Himmels, gebiete deinem Sohn, daß er Gnade mit uns habe!“ Und: „Der richtige Umgang mit Bildnissen“, sagt das Konzil von Trient, „ist, sie zu ehren, indem man vor ihnen niederkniet“ (25. Sitzung, Teil 2). Diese Lehre trifft den Kern des großen Gebots (das die Papisten Teil des ersten Gebots nennen): „Du sollst weder vor ihnen niederknien noch sie verehren“, d.h. überhaupt kein Bild irgendwelcher Art. Das ist grober, unverhüllter, offenbarer Götzendienst, wie er weder verleugnet noch entschuldigt werden kann, und führt direkt zur Zerstörung der Liebe zu Gott, was in
Wirklichkeit das erste und größte Gebot ist.
7. Drittens: Die Lehre der Verfolgung. Dies war viele Jahre lang eine bevorzugte Doktrin der Kirche von Rom. Und die Papisten unterstützen immer noch im allgemeinen die Ansicht, daß alle Ketzer (d.h. alle, die sich von ihnen unterscheiden) gezwungen werden sollten, den wahren Glauben – wie sie es nennen – zu empfangen und in die Kirche hinein- oder aus der Welt hinausgezwungen zu werden. Dies trifft nun das zweite große Gebot an seinen Wurzeln und reißt es völlig auseinander. Es führt direkt dazu, daß blinder, erbitterter Eifer, Wut, Haß, Bosheit, Zwietracht ins Spiel gebracht werden und jede Laune, jedes Wort, jedes Werk das genaue Gegenteil von dem „Lieben unseres Nächsten wie uns selbst“ sind. So ist es eindeutig, daß diese großen päpstlichen Lehren über Verdienst, Abgötterei und Verfolgung, durch die sowohl der Glaube als auch die Liebe zu Gott und unserem Nächsten zerstört werden, darauf hinauslaufen, daß die wahre Christlichkeit aus der Welt verbannt wird.
8. So hatten unsere Vorfahren sehr wohl Grund, gegen diese zu protestieren. Und so kam es, daß sie Protestanten genannt wurden, weil sie sogar öffentlich wie gegen alle Irrtümer der Päpste und speziell auch gegen folgende drei protestierten: daß der christliche Glaube durch die Behauptung, der Mensch könne den Himmel durch seine eigenen Werke verdienen, zunichte gemacht wurde; daß die Liebe zu Gott zu Götzendienst und die Liebe zu unseren Nächsten zu Verfolgung umgekehrt wurde. Bist du denn nun ein Protestant im wahrsten Sinne des Wortes? Protestierst du vor allem gegen diese drei großen grundlegenden Irrtümer des Papsttums sowie gegen alle restlichen? Protestierst du öffentlich gegen alle menschliche Selbstgerechtigkeit? Jede Erlösung durch unsere eigenen Werke? Jede Art von Götzendienst? Und gegen jede Art von und jedes Maß an Verfolgung? Für mich ist es keine Frage, aber für dich. Du protestierst öffentlich gegen all diese schrecklichen Irrtümer des Papsttums. Aber ist dein Herz mit deinen Lippen im Einverständnis? Hältst du nicht innerlich an Dingen fest, die du nach außen hin ablehnst? Es ist gut, wenn du, der du so lauthals auf die Papisten schimpfst, selber keiner bist. Es ist gut, wenn du in deinem Herzen (so wenig du es dir auch vorstellen kannst) kein Erzpapist bist.
9. Zunächst einmal: Wie kannst du hoffen, gerettet zu sein? Indem du dieses und jenes tust? Indem du nichts Böses tust, jedem Menschen gegenüber deine schuldige Pflicht erfüllst und deine Gebete aufsagst und zur Kirche und zum Abendmahl gehst? Oh weh, oh weh! Nun hast du deine Maske fallenlassen: Das ist schamloses Papsttum. Du kannst genausogut rundheraus sprechen und sagen: „Ich vertraue darauf, daß ich durch den Verdienst meiner eigenen Werke gerettet bin.“ Aber wo bleibt Christus die ganze Zeit über? Ja, Er kommt erst zur Sprache, wenn du zum Ende deines Gebetes kommst; und dann sagst du „im Namen von Jesus Christus“ – denn so steht es in deinem Buch. Mein lieber Freund, deine wahre Grundlage ist päpstlich. Du suchst die Erlösung durch deine eigenen Werke zu erlangen, du trittst das „Blut des Bundes“ mit Füßen. Ein armer Papist könnte auch nicht mehr tun!
10. Aber laß uns weitermachen: Bist du freier vom Götzendienst als die Papisten? Es kann natürlich sein, daß der deinige ganz anderer Art ist. Aber was bedeutet das schon! Sie stellen ihre Götzen in ihren Kirchen auf – du errichtest deinen in deinem Herzen. Ihre Götzen sind nur mit Gold oder Silber überzogen – aber deiner ist massives Gold. Sie verehren das Bild der Königin des Himmels und du das Bild der Königin oder des Königs von England. Mit anderen Worten: Sie machen einen toten Mann oder eine tote Frau zum Götzen, wogegen dein Götze noch lebt. Oh, wie gering ist der Unterschied vor Gott! Wie klein ist doch der Vorrang des Geldanbeters
in London vor dem Bildnisanbeter in Rom oder des Vergötterers eines lebenden Sünders vor einem, der zu einem toten Heiligen betet!
11. Gehen wir einen Schritt weiter: Verfolgt der Papist andere im Ausland? Belastet er gewaltsam das Gewissen eines anderen? So macht es der Papst in seinem Land, soweit es in seiner Macht steht, bei allen, die er selber Protestanten nennt. Wird der Mensch in Italien eine andere als seine eigene Meinung tolerieren? Genausowenig würde es der Mensch in England tun, wenn er es verhindern könnte. Würdest du es denn? Meinst du nicht, daß die Regierung genau beobachtet wird, wie sie mit anderen Leuten – abgesehen von denen aus der Kirche –
umgeht? Wünschst du dir nicht auch, daß sie diese oder jene Leute zum Schweigen bringen würde? Du weißt, was du an ihrer Stelle tun würdest. Und genau mit diesem Hintergedanken würdest du die Inquisition in Rom fortführen oder das Feuer in Smithfield wieder anzünden.
12. Nur weil unsere Nation mit solchen Protestanten überlaufen ist, die voll von ihren eigenen guten Verdiensten sowie abscheulichem Götzendienst sind und voll von blindem, hitzigem Eifer, dem totalen Geist der Verfolgung, geschah es, daß das Schwert Gottes, des Großen, des Gerechten, des eifernden Gottes, nun auch über unser Land gekommen ist; daß die Streitkräfte der Alliierten über ihm kreisen wie der Geier über seiner Beute und daß die offenkundigen Papisten gerade im Begriff stehen, die halbherzigen Protestanten zu verschlingen.*
13. Hast du den Wunsch, der Peitsche Gottes zu entkommen? Dann sei zuerst einmal ein richtiger Protestant. „Wirf das ganze Vertrauen auf deine eigene Gerechtigkeit und deine ganze Hoffnung, daß du durch deine eigenen Werke gerettet bist, mit Hilfe des Geistes von Gott über Bord (denn du weißt ja, daß du ohne Ihn nichts tun kannst).“ Gib zu, daß die Gerechtigkeit aus deiner eigenen Kraft ewige Verdammnis bedeutet, das heißt, daß du die Verdammnis in der Hölle verdienst. Demütige dich unter die mächtige Hand Gottes. Wirf dich in den Staub. Halte deinen Mund geschlossen und laß dein ganzes Vertrauen auf dem „besprengenden Blut“ gegründet sein; deine ganze Hoffnung auf Jesus Christus, „dem Gerechten“, und deinen ganzen Glauben auf „Ihm, Der die Gottlosen gerecht macht durch die Vergebung der Sünden in Jesus“. Oh tu deine Götzen aus deinem Herzen hinweg. „Liebe nicht die Welt und auch nicht die Werke dieser Welt.“ „Laß es dir genügen, daß du etwas zu essen und Kleidung zum Anziehen hast“, wünsche dir nichts sehnlicher als Gott. Höre heute Seine Stimme, die fortwährend ruft: „Mein Sohn, gib mir dein Herz!“ Gib dich Ihm ganz hin, Der sich selbst für dich gegeben hat. Mögest du Gott lieben, wie Er uns geliebt hat! Laß Ihn dein ganzes Sehnen, dein Entzücken, deine Freude und ein Teil von dir sein, jetzt und in Ewigkeit. Und wenn du Gott liebst, dann wirst du auch deinen Bruder lieben; du wirst bereit sein, dein Leben um seinetwillen aufzugeben, fern von jedem Wunsch, sein Leben zu nehmen oder ihm ein Haar auf seinem Kopf zu krümmen. Du wirst dann sein Gewissen unkontrolliert lassen; du wirst nicht mehr daran denken, ihm deine eigenen Ansichten aufzuzwingen, so wie auch er dich nicht zwingen kann, nach seinem Gewissen zu urteilen. Aber jeder soll „für sich selber vor Gott Rechenschaft abgeben.“
14. Es ist zwar richtig, daß du dich bemühen sollst, ihn eines besseren zu belehren, wenn sein Gewissen fehlgeleitet ist. Aber was du auch immer tust, laß es in Barmherzigkeit, in Liebe und in weiser Demut geschehen. Sei eifrig für Gott, aber denke daran, daß „der Zorn eines Mannes nicht die Gerechtigkeit Gottes hervorbringt“, daß wütender Eifer, obwohl er gegen die Sünde ist, der Diener der Sünde ist, daß nur wahrer Eifer die Flamme der Liebe ist. Mache dies zu deinem wahren protestantischen Eifer: Während du jede Art von und jeden Grad an Verfolgung verabscheust, laß dein Herz in Liebe für alle Menschen, für Freunde und Feinde, Nächste und
Fremde, für Christen, Heiden, Juden, Türken, Papisten und Ketzer entbrennen und für jede Seele, die Gott geschaffen hat. „Laßt“ dieses „euer Licht vor den Menschen leuchten, daß sie den Vater preisen, welcher ist im Himmel.“
* Dies wurde während des Aufstands geschrieben, der vor kurzem passierte.
Aus „Sermons from John Wesley“
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