487. Nachdenkliches für Manager – Der Führerschein 2-88
Montag, 19. Oktober 2015 | Autor: intern
Lieber Blog Besucher,
die tiefsinnigen Gedanken von Karlheinz Binder haben mich viele Jahre erfreut und immer wieder zum Nachdenken angeregt. Genießen Sie diese Worte und nehmen Sie davon etwas in Ihrem Alltag mit.
Der Führerschein
Als Weber in mein Büro kam, war sein Gesicht vom Zorn noch angespannt.
Er ließ sich auf einen Stuhl fallen, brannte sich ganz bewusst umständlich eine Zigarette an und sagte dann: „Den Stein schmeiße ich raus. Ich habe keine Lust mehr, mir ewig seine Bedenken und Gegenargumente anzuhören und mich mit ihm rumzustreiten, wie wir unser Geschäft betreiben sollen. Jetzt ist endgültig Schluss. Am Montag geht die Sache in die Personalabteilung, die sollen ihm kündigen.“
Ich muss ihn wohl erstaunt angesehen haben, denn ich kannte Stein als einen tüchtigen Mann, allerdings als einen, der bei den entsprechenden Gelegenheiten auch von seinem Kopf in kritischer Weise Gebrauch machte, aber nie destruktiv, nie verletzend.
Er hatte eine nette, freundliche Frau und zwei prächtige Kinder. Was würde das für sie alle bedeuten, wenn er seine Stellung verlöre.
Ich holte tief Luft und wollte das alles gerade Weber sagen, als er mir zuvorkam: „Sie können sich jede Verteidigung ersparen. Ich liebe klare Verhältnisse und bin ein absolut konsequenter Mensch. Stein entspricht nicht dem, was ich mir vorstelle. Es ist entschieden, basta.“
Über das ganze Wochenende ließ mich das Problem nicht los. Was hatte Weber gesagt? Stein entspräche nicht seinen Vorstellungen. Wird von uns überhaupt jemand dem gerecht, was andere von ihm erwarten?
Warum war Webers Frau neulich so merkwürdig still geworden, als ich sie nach ihrem Familienleben fragte, und warum wich Weber mir jedes Mal aus, wenn das Gespräch auf die Frage nach dem Sinn unseres Lebens und auf Gott kam ? Lieben wir wirklich die klaren Verhältnisse, und wie weit ist es wahrhaftig her mit unserer absoluten Konsequenz?
Am Montag früh hatte ich gerade angefangen, die Wiedervorlagen durchzusehen, als Weber erneut hereinkam. Er war seltsam ruhig, und als er sich gesetzt hatte, sah er mich eine ganze Weile an, ehe er anfing zu sprechen: „lch habe das Wochenende über Stein nachgedacht,“ sagte er: „Gezwungenermaßen. Als ich Sonnabend von einer Party nach Hause fuhr, hat mich eine Verkehrsstreife angehalten. Ich musste ins Röhrchen pusten. Der Führerschein ist erst mal weg.
Da habe ich angefangen, mich mal ganz ehrlich zu fragen, wer ich eigentlich bin und wo ich in der Sinnfrage meines Lebens stehe. Den ganzen Sonntag über. Was will man auch tun, wenn man nicht wegfahren kann. Und da ist mir klar geworden, an dem schlechten Verhältnis zu Stein bin ich selber auch mit schuld. Sie wissen, ich vertrage keinen Widerspruch, weil ich so was immer als Kritik an der Unfehlbarkeit meiner Person und meinen Entscheidungen empfinde. Mein Ego.
Ich werde es mit Stein noch mal versuchen. Vielleicht von meiner Seite aus mit mehr Toleranz und mehr Verständnis. Und über meine Familie muss ich wohl auch mal nachdenken.“
Und dann ging er.
Ich stand auf und ging ans Fenster. Da hatte einer mal Bilanz gezogen und sich auf ehrliche Weise geprüft, wer er eigentlich war. Eine objektive Standortbestimmung.
Aber, fragte ich mich, muss man dafür erst seinen Führerschein verlieren ?