464. Nachdenkliches für Manager – Offensiver Rückzug 2-95
Sonntag, 18. Oktober 2015 | Autor: intern
Lieber Blog Besucher,
die tiefsinnigen Gedanken von Karlheinz Binder haben mich viele Jahre erfreut und immer wieder zum Nachdenken angeregt. Genießen Sie diese Worte und nehmen Sie davon etwas in Ihrem Alltag mit.
Offensiver Rückzug
„Erinnern Sie sich noch an den Abend letzte Woche?“ fragte mich der Abteilungsleiter Arno Buchner.
Ich nickte lächelnd: „Aber klar und gerne“.
Es hatte sich alles ganz zufällig ergeben. Zuerst war die Präsentation der Werbeabteilung vor dem Marketing-Management über die neue Kampagne gewesen, dann im verkleinerten Kreis eine intensive Diskussion und irgendwann hatte irgendjemand gesagt: „Eigentlich sollten wir noch auf ein Steak und ein Bier ins Clubhaus gehen. Wie wäre das?“
„Einstimmig angenommen, auf ein Stündchen“.
Aber aus der Stunde wurden mehrere und aus dem Bier auch. Wir fühlten uns wohl, faßten gegen 22 Uhr den absolut verbindlichen Beschluß, bei Strafe von jeweils einer Runde, nicht und mit keinem Wort mehr über das Geschäft zu reden und der anwesende Justitiar brachte das alles in eine rechtlich unanfechtbare Form.
Das Zusammensein getaltete sich mit fortschreitender Dauer zur überraschenden Entdeckung: Sonst überaus sachliche, gemessene, würdebedachte Manager veränderten sich zu aufgeräumten, fröhlichen, mitteilsamen Menschen.
Da hatten wir bisher gemeint, uns gegenseitig recht gut zu kennen und erlebten ganz neue Seiten, Fähigkeiten und Gaben aneinander.
Warum, dachte ich erstaunt, warum ist erst Alkohol nötig, diese anerzogene, angenommene, erlernte Persönlichkeitsstarre aufzuheben? Warum brauchen Leute Pils und Wein, gelöst und fröhlich zu werden? Rollenverhalten abzulegen? Die Abgrenzungen zwischen Kollegen durchgängig zu machen? Frohe, liebenswerte Wesenseinheit zu sein, anstatt charakterliches Patchwork aus Verhaltensmustern, säuberlich getrennt in das Dasein als Vorgesetzter, Mitarbeiter, Kamerad, Nachbar, Freund, Ehepartner, Familienvater und Mensch.
Was ist kaputt mit uns?
Am meisten erstaunte mich Anton Hartmann, dieser zielbewußte, ehrgeizige, scharfsinnige und scharfkantige Senkrechtstarter. In drei Jahren vom Abteilungschef zum Direktor.
Wir wußten wenig von ihm. Eigentlich nur, daß er irgendwoher aus dem Ruhrgebiet stammte und man nicht an ihn herankam. Wer hätte schon geahnt, daß ausgerechnet dieser Mensch so voller schlagfertigem Witz, Sinn für Situationskomik und mitreißender Fröhlichkeit war.
Mit umwerfender, sprachschöpferischer Originalität und einer bühnenreifen Gestik hatte er Tegtmeier kolportiert und in mir fing das Lachen erneut an.
„Ich mußte“, erklärte ich Arno Buchner, „eben an Hartmann und seinen großen Auftritt denken. So kann man sich in einem Menschen täuschen und ihn falsch sehen. Übrigens“, setzte ich hinzu, „irgendwie bekam ich das ganz am Rande mit: Hat er Ihnen das Du angeboten?“
Buchner nickte: „So ist es. Wir verstanden uns großartig, stellten eine Menge Gemeinsamkeiten fest und im Lauf des Abends haben wir uns umarmt und immerwährende Freundschaft geschworen.
Allerdings, gestern schickte ich ihm eine Hausmitteilung mit der großen Bitte, den Auftrag unseres allerwichtigsten Kunden Hallerfeld im Produktionsterminplan außer der Reihe vorzuziehen und es ist auch prompt Antwort gekommen“.
Er schob mir den Brief über den Tisch und ich las:
„Sehr geehrter Herr Buchner.
Ich ersuche Sie, mit ihrem Antrag den Dienstweg zu wahren.
Im übrigen haben mich Anrede und Form Ihres Schreibens überrascht. Ich schlage vor, daß Sie sich in Zukunft an die Gepflogenheiten unseres Hauses halten.
Hartmann“.
Da hatte sich mal wieder einer als gelehriger Schüler des Herrn Machiavelli erwiesen: Willst du andere beherrschen, ist es wichtig, sie zu verunsichern. Tue dieses: Schenke dein Vertrauen und nimm es ohne Begründung wieder zurück. Sei heute Freund und morgen der Unannahbare. Versöhne dich und greife ohne Begründung ganz überraschend wieder an. Wende deine Huld zu und verlange danach unerbittlich den Preis dafür.
Warum sind Menschen so wie dieser Anton Hartmann?
Erst das herzliche Du und dann solche Zeilen?
Was ist mit uns kaputt?
Warum gibt es so wenige, bei denen einer weiß, woran er mit ihnen ist? Leute, die beständig, zuverlässig und treu sind, die zu ihren Aussagen und Versprechungen stehen?
Auf wen kann man sich überhaupt verlassen?
Das war auch die Frage, die Gemeindemitglieder aus Korinth dem Apostel Paulus stellten.
Und seine Antwort?
„Jesus Christus“, schreibt er, „der Sohn Gottes ist keiner, der Ja sagt und Nein meint. Er ist durch und durch Ja. Mit ihm sagt Gott Ja zu allen seinen Zusagen“.
Anfrage an Ihr christliches Gedächtnis: Wissen Sie noch, worum es sich dabei handelt? Wenn nein, was ist kaputt?
Karlheinz Binder