235. Als ein Engel zu Besuch kam – Wunder heute
Freitag, 21. Januar 2011 | Autor: intern
Gemälde Michael Willfort
Als ein Engel zu Besuch kam
Als unsere Tochter in die vierte VolksschuIklasse versetzt werden soll, gibt es eine medizinische Untersuchung. Ich bin natürlich davon ausgegangen, dass Angelika kerngesund ist. Die beiden Ärzte rufen mich aber in ihr Besprechungszimmer und machen ein sehr nachdenkliches Gesicht. »Ist mit meiner Tochter etwas icht in Ordnung?«, frage ich ahnungslos. Es ist eine schreckliche Diagnose, die mir die Ärzte schonend unterbreiten: Leukämie. An dieser Krankheit leiden in der Ukraine – nach dem Atomreaktor-Unfall in Tschernobyl – unzählige Menschen. Besonders Kinder.
»Angelika hat nur eine geringe Überlebenschance. Auch mit starken Medikamenten und ärztlichen Therapien sehen wir für ihre Tochter kaum einen Hoffnungsschimmer. Wir geben ihr höchstens acht bis zehn Monate Lebenszeit. Kennen Sie jemanden im Westen, der mit teuren Medikamenten helfen kann? Oder mit einer Knochenmarkspende?« Ich schüttele schweigend den Kopf. Die Ärzte verabschieden mich an der Praxistür: »Wenn Sie den Schock verkraftet haben, kommen Sie bitte in den nächsten Tagen zur Beratung! «
Mit Angelika an der Hand gehe ich heim – jeder Schritt ein Sorgenschritt.
Mein Mann und ich lassen uns ärztlich beraten und erfahren: »Für Angelika ist es am besten, sie wird ins Kinderkrankenhaus eingewiesen und bleibt dort, solange es erforderlich ist.« Monatelang besuchen wir sie auf der Leukämiestation. Ihr Zustand aber verbessert sich keineswegs. Ihre Blutwerte zeigen deutlich in die Richtung: Es geht dem Ende zu. Wir überlegen mit den Ärzten, ob es Sinn macht, unsere Tochter nach Hause zu holen. Sie willigen ein. Auch in den Nächten schauen wir immer wieder nach ihr. Manchmal hat sie sich bloß gestrampelt, dann decken wir sie behutsam zu.
In dieser Nacht schaue ich wieder nach ihr und will die Tür nur leise und einen Spaltbreit öffnen. Da sehe ich: Angelika hat sich im Bett mit dem Rücken an die Wand gesetzt. »Kind, erkältest du dich so nicht? Ich werde dich zudecken und dann schläfst du.« »Mutti, ein Engel war soeben hier. Voll Glanz und hellem Leuchten. Und weißt du, was er gemacht hat? Er kam ganz nahe zu mir. Es war herrlich. Der helle Schein des Engels hat mich umhüllt. Völlig. Und dann hat er mich in den Arm genommen. Nein, Mutti, ich habe das nicht geträumt. Wirklich nicht! Glaube mir!«
Ich schüttele das Kopfkissen neu auf und will sie zudecken. Aber Angelika mag sich noch nicht hinlegen: »Und dann hat der Engel gefragt, ob ich noch einen Wunsch habe.« »Du hattest einen Wunsch frei, Kind? Und was hast du dir gewünscht?« Ich denke natürlich, sie hat um Heilung gebeten. Nein, das hat sie nicht! Ich traue meinen Ohren kaum: »Ich habe gesagt: >Kann Gott es machen, dass in unserer Gemeinde bald viele junge Leute kommen und auch viele Kinder?< Der Engel hat mich noch einmal ganz fest gedrückt und gesagt: >Ja, Gott kann!< Als ich mich bedanken will, ist er schon weg.« Auf dem Kindergesicht liegt ein rötlicher Schimmer − voll Glück. »Kind, du hast vergessen, an dich zu denken oder hast du es nicht gewagt, um Gesundheit bei . Gott zu bitten? Du weißt doch, wie schlimm dein Zustand ist!« »Mutti, Gott hat mich schon gefunden und ich habe ihm mein Leben gegeben. War das recht?« Ich nicke still und kämpfe mit den Tränen, als ich mich auf die Bettkante setze. »Aber ich kenne so viele Jungs und Mädchen in der Schule, die todunglücklich sind. Die meisten von ihnen haben sich noch nicht von Gott finden lassen. Und ich weiß, wie einsam die meisten von ihnen sind – und traurig. Und gefährdet. Mutti, durfte ich nicht für sie bitten?« »Doch … mein Kind!« Ich muss tief atmen und halte die Hand vor den Mund, um mein Schluchzen zu verbergen. Mit ihren schwachen Kräften rückt Angelika mir immer näher, bis sie ihre dünnen Ärmchen um meinen Hals legen kann: »Mutti, nicht weinen! Der Engel ist jetzt sicher wieder im Himmel bei den anderen Engeln. Ob sie mit ihrem Singen aufgehört haben, damit mein Engel die Bitte dem großen Gott vortragen kann? Mutti, höre doch mal: Es ist ganz, ganz still geworden. Kein Engel singt mehr. Und Gott nimmt jetzt meine Bitte entgegen, auf die er gewartet hat.« Das Kind küsst mich zart und schwach auf die Tränen, legt sich in das weiche Kissen, lässt sich von mir zudecken und schläft die Nacht durch. Es ist nicht zu fassen: In den darauf folgenden Wochen und Monaten kommen einige junge Erwachsene erstmals in die Gemeinde. Sie lassen sich von Gott finden. Den ganzen Sommer und Herbst hindurch geschieht ein Umbruch: Aus der >alten< ist sichtbar eine >junge< Gemeinde geworden. Die Schar der Kinder ist schier unzählbar. Die Räumlichkeiten sind seit Wochen zu klein für die übergroße Zahl beim Kindergottesdienst. Und junge Erwachsene, die sich bekehrt haben, lassen sich taufen und gehören jetzt zur Gemeinde. Ihre Zahl wächst noch immer.
Gott wandte auch unser Geschick. Angelika ist auf dem Weg zur völligen Genesung. Welch ein Fest, als wir Eltern sie nach einjährigem Bettaufenthalt zum ersten Mal zum Gottesdienst begleiteten. Ich bin nach vorn gegangen und habe der Gemeinde erstmals erzählt, dass wir daheim Engelbesuch hatten. Und … dass Gott unsere Gebete gern entgegennimmt. Er wartet auf unsere Worte. Er hört sie alle.
Nadja Komendant