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494. Nachdenkliches für Manager – Familien-Nachricht 10-88

Dienstag, 20. Oktober 2015 | Autor:

Lieber Blog Besucher,

die tiefsinnigen Gedanken von Karlheinz Binder haben mich viele Jahre erfreut und immer wieder zum Nachdenken angeregt. Genießen Sie diese Worte und nehmen Sie davon etwas in Ihrem Alltag mit.

 

 

Familien-Nachricht

Der Umschlag hatte eine dezente Leinenstruktur und sah edel aus. Die Adresse war von Hand, kraftvoll, klar, ohne Schnörkel. Die Briefmarke saß absolut rechtwinklig zur Aussenkante, und ich brauchte gar nicht erst auf die Rückseite zu schauen: Mein Geschäftsfreund Willi Hagenthal hatte mir ganz privat in seiner vitalen Korrektheit geschrieben. Vermutlich eine Einladung.

Als ich das Kuvert aufmachte, wollte ich meinen Augen nicht trauen. Ich rief meine Frau, und als sie kam, drückte ich ihr die Karte in die Hand und sagte: „Lies das bitte ganz laut vor, sonst kann ich es nicht glauben.“
„Liebe Freunde,“ begann sie, „unsere Zeit, in der wir heute leben, ist voller Schwierigkeiten und Konflikte, voller Missverständnisse und Irrtümer. Das alles ist auch an unserer Ehe in den acht Jahren des gemeinsamen Lebens nicht spurlos vorbeigegangen, und wir haben deshalb beschlossen, unsere Wege in Zukunft getrennt fortzusetzen. Wir gehen in voller Harmonie auseinander und wünschen uns gegenseitig und unseren Freunden alles Gute und viel Glück. Ihre Willi und Rita Hagenthal.“

„Ich bin erschüttert,“ sagte meine Frau mit einer Stimme, durch die die Betroffenheit hindurch klang, „hast Du jemals etwas davon bemerkt ?“
Ich überlegte. Da waren zwei Menschen, die ich von Herzen mochte. Sie hatten nie Sorgen gehabt, es war alles da: ein schönes Haus, eine gesicherte Existenz, eine gute Zahl Freunde und eine Menge Bekannte, Parties, Empfänge, Feiern. Ein Leben, rundum ausgefüllt mit Aktivitäten. Beide passten zueinander, und jeder hatte dem Erwartungsmodell des anderen entsprochen. Untreue schied aus, dazu war Hagenthal ein viel zu korrekter und geradliniger Mensch, und seine Frau kam aus einem religiösen Elternhaus und wusste um das 6. Gebot.

Ja, da gab es eine Sache, die mir aufgefallen war: Die beiden hatten selten Urlaub gemacht und wenn, dann immer nur zehn oder zwölf Tage. Ich konnte das verstehen, denn er war ein ständig und dringend gebrauchter, hochbelastbarer, erfolgreicher Manager. Aber hatte nicht genau das seiner Frau und den beiden Kindern ein sorgenfreies, sonniges Leben ermöglicht?
Willi Hagenthal und ich hatten einmal darüber gesprochen Es war nach dem Besuch seiner Frau im Büro, als er hinterher im Terminkalender von ihrer Hand im Zeitfeld eines der wenigen freien Abende eine Eintragung fand: „20-22 Uhr Besprechung mit Rita Hagenthal“.
Er hatte das für einen Spaß gehalten und herzhaft darüber gelacht. „Meine Prioritäten sind so genau richtig,“ hatte er gemeint, „zuerst muss man Karriere machen und sich etablieren, und wenn es dann geschafft ist, kann man auf eine langsamere Gangart umschalten und alles das tun, was man schon immer wollte. Reisen, Kunst, Kultur, die Füße vor dem Kamin ausstrecken und miteinander denken und reden.“

Dazu würde es nun nicht mehr kommen. Und die zwei Kinder? Was war mit ihnen? Aber sicherlich hatte er in seiner gründlichen Art an alles das gedacht, nur an eines nicht: Ob die Geborgenheit, das Vertrauen, die Liebe, das Präsentsein nicht doch wichtiger sind als materielle Erfolge? Ob die Prioritäten seiner Frau und seiner Kinder wirklich mit den seinen identisch waren, wie er immer vorausgesetzt hatte ?
Warum hatte er in seiner Blicklosigkeit nicht begriffen: Die Notiz in seinem Kalender war ein Hilfeschrei.
„Zeit kann man nur einmal investieren,“ sagte neulich ein Management-Trainer, „deshalb muss man genau und gewissenhaft überlegen, auf welches Projekt man sich konzentriert.“

Wenn es stimmt, dass Gott uns eines letzten Tages nicht nach unseren Erfolgen, sondern nach den Menschen fragen wird, die er uns als Allernächste anvertraut hat, wenn nicht zählt, was wir auf dem Bankkonto haben, sondern wie sehr wir von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und mit aller unserer Kraft Gott geliebt haben und unseren Nächsten wie uns selbst, wie sieht dann die Bilanz aus?

Ich sah auf meine Armbanduhr und schreckte zusammen. Ich hätte schon Iängst in der Firma sein müssen, der Tag war vollgestopft mit Besprechungen, Treffen und Denkarbeit.
„Nimm die mit,“ sagte meine Frau, und gab mir die Karte von Willi und Rita Hagenthal zurück, „lege sie neben Deinen Terminkalender!“

 

Karlheinz Binder

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Thema: Nachgedacht

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