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493. Nachdenkliches für Manager – Der Unersetzliche 9-88

Dienstag, 20. Oktober 2015 | Autor:

Lieber Blog Besucher,

die tiefsinnigen Gedanken von Karlheinz Binder haben mich viele Jahre erfreut und immer wieder zum Nachdenken angeregt. Genießen Sie diese Worte und nehmen Sie davon etwas in Ihrem Alltag mit.

 

 

Der Unersetzliche

Um 15.00 Uhr hatte ich losfahren wollen, damit ich in Ruhe und Gelassenheit das für den Abend angesetzte Arbeitsessen mit anschließender Fach-Konferenz erreichen würde, aber ich war wieder einmal viel zu spät aus dem Geschäft weggekommen, und nun saß ich zwischen den Tagungsteilnehmern am schön gedeckten Tisch mit einem durch das schnelle Fahren auf der Autobahn immer noch viel zu hohen Adrenalinspiegel und mit einem richtigen Hunger, denn der Tag war so hektisch gewesen, dass es seit dem Morgen nur zu einem kurzen Imbiss gereicht hatte.
Ich griff nach der Speisekarte, und im gleichen Augenblick tat das auch mein Gegenüber, wir zogen beide nahezu simultan unsere Hände zurück und sagten wie aus einem Mund: „bitte“, und dann lachten wir und machten uns miteinander bekannt. Er war der Inhaber einer hochspezialisierten mittelständischen Fabrik, über die ich bisher in Fachkreisen viel Lobenswertes gehört hatte, und von ihm, dem alleinigen Chef, erzählte man sich, er sei Motor, Seele und Zukunftsgarant des Unternehmens. Als ich ihm das sagte, blickte er sehr konzentriert in die Speisekarte und wechselte das Thema.

Der Zufall wollte es, dass wir in der anschließenden, gemeinsamen Sitzung unserer beiden Fachverbände PIätze nebeneinander hatten, und als ich nach diesem langen Abend hinüberging in die rustikale, gemütliche Schenke des Hotels, um dort noch ein Abschlussbier zu trinken, standen wir uns ganz unvermutet wieder gegenüber.
„Das ist heute das dritte Mal“, sagte ich: „Jetzt gebe ich einen aus.“

Wir setzten uns in eine ruhige Ecke, und nach dem ersten, großen Zug aus den GIäsern, dem obligatorischen Schaumabwischen vom „Ah“-sagenden Mund, klopfte er mir auf die Schulter: „Ich hoffe, Sie waren heute Mittag nicht beleidigt, als ich unser Gespräch nach Ihrem freundlichen Kompliment fast unhöflich abgebrochen habe?“
„Nein“, sagte ich, „ich war nicht böse, aber ich hatte das Gefühl, Ihre Erfolge sind zugleich Ihr Problem, oder?“
Er sah mich lange und nachdenklich an: „Sie sind auf dem Punkt. Wissen Sie, da rast man nun von einer Sitzung zur anderen, von einer Stadt in die nächste und schuftet, damit die Auftragsbücher immer schön voll bleiben. Mein ganzes Leben ist im Grunde genommen nur noch eine Art Bestandteil meines Terminkalenders. Manchmal bin ich so kaputt, dass ich selbst zum Ausruhen zu erschöpft bin. Kennen Sie das? Wo das Schwungrad in einem drin einfach weiterläuft und das innere Gleichgewicht aus den Fugen geraten ist, bis hin zu Herzrhytmus-Störungen, wie bei mir. Es gibt Momente, da wünsche ich mir, nur noch für meine Frau und mich da zu sein, aber ich kann nicht weg. Wenn ich mich zurückziehe, bricht meine Firma zusammen. Ich habe über zu viele Jahre versucht, mich unentbehrlich zu machen, und jetzt bin ich es.,,
Er Iächelte mich ganz kurz an und sprach konzentriert weiter: „Sicherlich könnten Sie mich jetzt eine ganze Menge fragen. Zum Beispiel, ob die Prioritäten in meinem Leben stimmen, ob Erfolg denn nun wirklich alles ist und ob ich mir mit meiner Unersetzlichkeit nicht letzten Endes selber etwas vormache.“
Und dann, nach einer kurzen Nachdenkpause, sagte er: „lch weiss es Iängst, dass ich einmal gründlich und ehrlich über den Sinn meines Lebens nachdenken müsste. Aber selbst wenn ich das tue: Wird sich an meiner Situation wirklich etwas ändern ? Außer vielleicht, dass ich dann noch mehr mit einem schlechten Gewissen meiner Familie und Gott gegenüber herumlaufe, und wer will das schon ? Mein Vater hat mir immer gesagt: Sei ein Mann und benimm dich wie ein Mann!“
Er stand auf, straffte seine Schultern, tilgte alle Nachdenklichkeit aus seinem Gesicht durch ein strahlendes Lachen, gab mir die Hand und sagte: „Dennoch, es war gut, mal mit jemandem über das alles zu reden. Danke.“ Und dann ging er.

Ich lag lange wach in dieser Nacht, weil ich mich in ihm selber wiedererkannt hatte. Die meisten Jahre meines Lebens war ich genauso gewesen wie er, hielt mich für nahezu unersetzlich und bezog aus dieser Haltung den Maßstab für meine Prioritäten und mein Handeln.
Ich musste an einen Freund denken. Er ist Geometer und kürzlich hatte einer seiner Trupps drei Tage lang umsonst gearbeitet, weil alle Messungen von einem falschen Ausgangspunkt gemacht worden waren.
Wie steht es in der Bibel, im Buch der Weisheit?: „Des Menschen Sorge richtet sich nicht darauf, dass sein Leben kurz und unwiederholbar ist und dass er eines Tages sterben muss, sondern er ist unablässig bemüht, um die Wette mit den anderen zu arbeiten und ihnen nachzueifern. Alles, was er für seinen Ruhm hält, sind vergängliche Dinge. Seines Herzens Gedanken sind wie Asche, und weil er Gott nicht ernst nimmt, den, der ihn geschaffen und ihm eine Seele gegeben hat, ist seine Hoffnung wie Staub, und sein Leben hat nicht mehr Wert als die Erde, zu der er eines Tages wieder werden wird.“

Morgen früh, überlegte ich, wenn ich meinen neuen Freund beim Kaffee treffe, werde ich ihm sagen, was Gott von unseren Prioritäten und unserer Unersetzlichkeit hält. Ob es was nützt?

 

Karlheinz Binder

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Thema: Nachgedacht

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