481. Nachdenkliches für Manager – Abendsegen 7-97
Montag, 19. Oktober 2015 | Autor: intern
Lieber Blog Besucher,
die tiefsinnigen Gedanken von Karlheinz Binder haben mich viele Jahre erfreut und immer wieder zum Nachdenken angeregt. Genießen Sie diese Worte und nehmen Sie davon etwas in Ihrem Alltag mit.
Abendsegen
Ich war noch einmal hinausgegangen aus dem klimatisierten Hotel in den sonnigen, warmen, samtenen Frühlingsabend.
In einer Stunde hatte ich einen Vortrag zu halten und es galt, mich darauf zu konzentrieren.
Drüben von der Kieler Förde tutete tief und platzheischend ein Dampfer, eine der großen, modernen Fähren nach Skandinavien. Ich sah ihr eine Weile nach, überlegte, wann und wo meine Frau und ich in diesem Jahr wohl Urlaub machen könnten und plötzlich sprach mich jemand von der Seite an: “Verzeihen Sie bitte, aber dürfte ich Ihre Aufmerksamkeit für einen Moment in Anspruch nehmen?“
Langsam wandte ich den Kopf, meinesgleichen neben mir vermutend, und mein Blick fiel auf einen dicken, an der Knopfleiste und den Revers schon stark ausgefransten Wintermantel, darüber tagealte Bartstoppeln und zwei wache Augen, die mich fragend musterten.
“Mein Name ist Rolf Behr“, sagte der Mann, “ich habe schon bessere Zeiten gesehen und bin kein Penner“. Er faßte in seine linke Innentasche: “Hier, sehen Sie diese Sonnenbrille, das ist ein Designermodell. Die hat keiner, der nur noch Wermut trinkt“.
Ich lächelte bei seinen Worten. Wie oft hatte ich das schon erlebt, wenn auch auf einem gesellschaftlich anderem Niveau, daß sich Leute gegenseitig ihre edlen Armbanduhren vorführten, ihre mehr oder weniger dezenten Automarken, ihre Begleiterinnen samt edlem Schmuck, um deutlich zu machen, wo sie sozial hingehörten.
Der Nachweis von Rolf Behr fiel da erheblich bescheidener aus.
So reduzieren sich wohl, dachte ich, in bestimmten Phasen die Wertigkeiten mit denen wir dokumentieren wer wir sind. Oder eben auch, wer wir nicht sind. Aber das Prinzip bleibt das gleiche, letzten Endes hilflos.
„Wie sind Sie in diese Situation gekommen?“
„Ich war selbständiger Kleinunternehmer mit einem festen Kundenstamm, verdiente gut, hatte ein Auto, eine Freundin, und dann machte eine große Kette in genau der gleichen Branche hier eine Filiale auf. Sie waren billiger als ich, wohl weil sie alles zentral einkauften und mit niedrigeren Kosten arbeiteten. Eines Tages war ich pleite. Geld weg, Kunden weg, Auto weg, Freundin weg. Keine Absicherung weil ich immer gemeint hatte, das Geld könne man sich sparen. Das Endergebnis sehen Sie vor sich. Und auch dieses Geschäft läuft schlecht. Die meisten, die ich anspreche sagen mir: „Such Dir eine Arbeit“. Oder: „Geh zum Sozialamt“. Oder: „Sorry, aber ich habe kein, oder kein passendes Geld bei mir“.
„Und was kann ich für Sie tun?“ fragte ich.
„Sie könnten mich durch eine kleine Spende in die Lage versetzen, mir eine Abendmahlzeit zu kaufen. Es wäre dann auch die erste heute“.
Ich griff in meine Jacke und stellte fest, meine Brieftasche steckte in meinem Reiseanzug, aber der hing oben auf meinem Zimmer.
Als ich es ihm sagte, wurde sein Gesicht traurig und enttäuscht.
Da hakte ich ihn unter, zeigte hinüber zum Hotel: „Kommen Sie mit, ich hole Geld“.
Unterwegs wollte er von mir wissen, wozu ich in der Stadt sei und ich erzählte ihm, heute Abend würde ich als Christ einen Vortag für Geschäftsleute, Opinion-Leaders, Verantwortungsträger halten, um deutlich zu machen, daß es in einem Leben auf mehr ankommt, als auf Erfolg. Er hörte mir sehr genau zu und hatte eine Menge Fragen.
Der Portier, der mir vorhin bei meinem Eintreffen diensteifrig die Hotel-Eingangstür offengehalten hatte, sah uns entgegen, irritiert, wie wir zwei Arm in Arm nahten und als ich hineinging, rührte er, fast ratlos, keine Hand.
Rolf Behr sah mir gespannt und mißtrauisch hinterher.
Ich fuhr auf mein Zimmer, nahm einen der Lage angemessenen Geldschein und kehrte zurück.
An der Rezeption und der goldbetreßten Amtsperson in Grün vorbei ging ich zu dem schon fast vertraut gewordenen Wintermantelbesitzer.
Rolf Behr strahlte mich an: „Ich habe nicht geglaubt, daß Du wiederkommst. Ich dachte, Du würdest die einmalig günstige Situation für einen eleganten Abgang nutzen“.
„Ich hatte es Dir versprochen“, sagte ich und empfand das plötzliche Du zwischen uns als absolut nichts Fremdes.
Er nahm das Geld, stecke es sorgsam zu seiner Sonnenbrille, breitete beide Hände aus, schloß mich samt meinem dunkelblauen Gesellschaftsanzug in seine Arme und ohne daß ich auch nur einen Moment zögerte, tat ich das gleiche. Und dann sagte er zu mir: „Mein Bruder, Gott segne Dich“.
Von der Treppe aus winkte ich ihm noch einmal zu.
Der Portier war verschwunden. Er hatte sich verdrückt um so dem Problem zu entgehen, ob er mir die Tür vielleicht doch aufmachen sollte oder vielleicht auch nicht.
Als ich in meinem Zimmer war wurde mir klar: Ich hatte soeben ganz real und handgreiflich eine Stelle aus dem Neuen Testament erlebt, die ich schon so oft ohne inneren Bezug gelesen hatte: „Was nützt es Euch, wenn Ihr denen Gutes tut, die Euch wiederum Gutes tun. Ihr erzeugt damit doch nur einen wirkungslosen internen Kreislauf von Gefälligkeiten….Die Reichen in dieser Welt sollen sich weder etwas auf ihr Vermögen einbilden, noch sollen sie darauf vertrauen, sondern sie sollen alle ihre Zuversicht und Hoffnung auf Gott setzen, damit sie Gutes tun, reich werden an guten Taten, gern geben, behilflich sein und sich damit einen Schatz sammeln als Grundlage für die Zukunft, damit sie das wahre, das wirklich wahre Leben ergreifen“.
Liegt darin vielleicht der Unterschied zwischen arm und armselig?
Arm ist einer, der nichts hat; armselig ist einer, der nichts gibt.
Arm ist einer, dessen Geldbörse, armselig einer, dessen Herz leer ist.
Arm ist einer, der niemanden hat, der ihn segnet; armselig ist einer, der keinen hat, den er selber segnet.
Drei Fragen drängen sich auf:
Zum ersten, was machen wir, Sie und ich, mit unserem Geld?
Und zum zweiten: Wann hat Sie jemals einer, sei er nun arm oder reich, in die Arme genommen und Sie im Namen Gottes gesegnet?
Und zum dritten: Wann haben Sie zum letzten mal einem Menschen, seien es Ihr Ehepartner oder Ihre Kinder, gesagt: Gott segne Dich!?
Karlheinz Binder