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469. Nachdenkliches für Manager – Die dritte Dimension 5-96

Sonntag, 18. Oktober 2015 | Autor:

Lieber Blog Besucher,

die tiefsinnigen Gedanken von Karlheinz Binder haben mich viele Jahre erfreut und immer wieder zum Nachdenken angeregt. Genießen Sie diese Worte und nehmen Sie davon etwas in Ihrem Alltag mit.

 

 

 

Die dritte Dimension

Auf dem Parkplatz stand eine stattliche Parade von Autos. An den vielen auswärtigen Nummernschildern konnte man sehen: Wilhelm Faber hatte auf überaus großzügige Weise zu seinem
50. Geburtstag eingeladen, Lieferanten, Kunden, Freunde.

Ich hakte meine Frau unter und als wir durch die Drehtür des noblen Restaurants kamen, entdeckte uns Faber auf den ersten Blick. Mit weit ausgebreiteten Armen nahte er, zog uns an seine Brust, wo wir beide ohne bedrängende Mühe Platz fanden und mit seiner tiefen Volltonstimme hieß er uns herzlich willkommen, gab meiner Frau 2 Küßchen und mir einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter, bugsierte uns quer durch den Raum zum Ober, der mit beneidenswerter Virtuosität auf einem Tablett die Aperitifs balancierte, drückte jedem ein Glas in die Hand und eilte wieder davon, sich um die nächsten Gäste zu kümmern, aber schon halb im Weggehen wandte er sich noch einmal um. „Du“, sagte er zu mir, „ich habe kundtun lassen, daß ich keine großen, erhebenden Laudatien über mich möchte, es sei denn, Du willst als Freund mir eine kleine Rede halten“.
„Ehrensache“, antwortete ich, „kurz, ergreifend und zwischen zwei Gängen“.

Im Festsaal hatten sie eine große Tafel gedeckt. Alles stimmte, die Tischtücher, das Geschirr, die Servietten, Speisekarten, Blumen, Kerzen, vollendete Harmonie.

Die Quiche Lorreine als Vorspeise war vorzüglich, die Kräutercremesuppe ein Genuß.

Ich sah kurz hinüber zu Wilhelm Faber, signalisierte ihm durch Kopfnicken meine Redeabsicht, klopfte an mein Glas und erhob mich, würdigte seine Verdienste und seine Tüchtigkeit als ein mittelständischer Unternehmer, der seine Firma mit sicherer Hand, weisen Entscheidungen und Instinkt für Trends und Entwicklungen durch alle Konjunktursituationen gesteuert hatte. Ich lobte seine kluge Produktpolitik, seine Art, Mitarbeiter zu begeistern und ich dankte ihm für unsere lange, tief gegründete Freundschaft und seinen Mut, auch als Unternehmer, Vorgesetzter, Auftraggeber und Konkurrent im Markt, zu jeder Zeit und in allen Situationen konsequent Christ zu sein.

Faber kam um den Tisch herum, nahm mich zum zweitenmal an diesem Tag in die Arme und als ich mich wieder setzte, voller Vorfreude auf die vielversprechenden nächsten Positionen der Speisekarte, hörte ich, wie ein weiterer Gast sich mit rhythmischen Messerschlägen an das Weinglas zu Wort meldete.
Ich kannte ihn nicht, aber er hatte eine sichere, routinierte Art zu formulieren, sein Wortschatz ließ auf großes Wissen schließen und das hatte er auch.
Er begann mit einem Lob auf die Kräutercremesuppe, kam auf den Guide Michelin zu sprechen, von dort auf die Lage der deutschen Gastronomie, machte einen Abstecher in die Situation der Landwirtschaft, sprach über die Subventionspolitik der Europäischen Union, kam auf die Welternährungslage, die sieben oder acht Familien, die den Weltgetreidehandel kontrollieren, auf das nicht ausreichende Kartellrecht und der eigentliche Zweck seiner Rede ging unter in dieser Flut von Worten und Gedanken, zusammen mit unserer Aufmerksamkeit und vor allem mit der Geduld des Chefkochs, der in immer kürzer werdenden Zeitabständen an der Saaltür erschien und optische Notsignale absetzte, weil ihm auf dem Herd das herrliche Menü zerkochte.
Wir waren einem redundanten und ohne jedes Zeitgefühl handelnden Vielredner zum Opfer gefallen. Einem, der schon etwas zu sagen hatte, der es aber so lange, ausführlich und abschweifend tat, daß er nicht nur die schönen Speisen, sondern auch seine eigenen Worte wieder kaputtformulierte. Der die Substanz zuschüttete, so viel sagte, daß man sich hinterher nicht mehr an das erinnerte, was wesentlich hätte sein können. Seine Rede hatte eine beachtliche Länge und eine eminente Breite, aber ihr fehlte die dritte Dimension.

Da gibt es Verantwortliche, dachte ich, die hören sich so gern reden, daß alle Konferenzen und Gespräche zum Monolog werden. Da finden Fernsehdiskussionen statt, in denen das leere Stroh längst bekannter Ideen und Argumente immer wieder neu durchgedroschen wird, bis nur noch Langeweile übrig bleibt. Das einzige, was sich ändert, sind die zunehmende Lautstärke und die abnehmende Bereitschaft, andere ausreden zu lassen.
Da schreiben Journalisten unter interesseweckenden Überschriften
Alltäglichkeiten hin und man bleibt genau so klug, wie man es vorher war und Hochstudierte blasen Fremdwörter und Fachformulierungen zu beeindruckenden Wortgebilden auf, hinter denen sich ihre Ratlosigkeit pompös versteckt.

Und selbst so manche Christen machen keine Ausnahme. In einem Seminar hatte ich neulich die Probe aufs Exempel gemacht: Jeder Teilnehmer sollte, ganz anonym, formulieren, wie er einem anderen Menschen den Sinn unseres Dasein erklären würde.
Bei einigen war Funkstille, weil sie es nicht schafften, ihre Erkenntnisinhalte in verstehbare Worte umzusetzen, die meisten anderen aber bestätigten die Regel, daß die Zahl der Sätze im umgekehrt proportionalen Verhältnis zu deren Inhalt steht.

Wir reden, reden und reden und sagen zu wenig.
Wir schreiben, schreiben und schreiben und vermitteln zu wenig, und in der Flut von Informationen und Kommunikation geht das Du verloren, der andere, der Mensch mit seinen Wünschen, Ängsten, Sehnsüchten und seinem Bedürfnis nach Orientierung, Sinn, Liebe und Angenommensein.

Da kamen die redegewandten, gebildeten Pharisäer zu Jesus Christus in der Absicht, eine hochtheologische Diskussion mit ihm zu führen und Jesus holt sie mit einem einzigen Satz herunter auf den Boden des menschlich Notwendigen: „Ich sage Euch: Am Tag des Gerichtes, wenn jeder sich vor Gott zu verantworten hat, muß er auch Rechenschaft geben über jedes unnütze Wort“.
Wie wäre es mit ein bißchen mehr Konzentration auf das Substantielle, damit wir endlich aufhören, mit unserem Ehepartner, unseren Kindern, unseren Freunden und Mitarbeitern vorwiegend zweidimensional zu reden?
Wir wäre es mit ein bißchen mehr rhetorischer Deflationspolitik, damit wir mehr Raum bekommen für Tiefe?
Karlheinz Binder

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Thema: Nachgedacht

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