434. Multi Kulti – Gott und die Welt
Freitag, 27. März 2015 | Autor: intern
Jerusalem
Wir sind in Deutschland und Europa nicht mehr unter uns: Die ganze Welt ist zu Gast, und alle Religionen melden sich mehr oder weniger lautstark zu Wort. Es entsteht ein Miteinander und auch ein Durcheinander von Ansichten, Lebensstilen und Überzeugungen.
Inmitten dieser multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft stehen wir Christen und wollen unsere Antwort auf die unendlich vielen Fragen der Zeit geben. Dabei gilt: Wir wollen zuhören, wie die Fragen lauten. Wir wollen die Sehnsüchte und Ängste kennen lernen. Aber wir wollen auch sagen, was wir an Wahrheit erkannt haben.
Vor einiger Zeit wurde ich von einigen Schülern und jungen Erwachsenen in einen Jugendclub eingeladen. Sie wollten mit mir über »Gott und die Welt« reden. Dann sagten sie: »Ja, wir interessieren uns für religiöse Fragen, für die Vernetzungen des Lebens, für Kräfte und Mächte, die das Leben bestimmen usw. « Und nun wollten sie wissen, was ich denn als Christ dazu sagen würde, und welche Antworten ich auf ihre Lebensfragen hätte. Mitten in das Vorgespräch rief einer der Jungen: »Aber bitte nicht soviel Kopf, lieber mehr Bauch! « Alles lachte.
Darauf stieg ich ein und sagte ungefähr dies: »Natürlich habt ihr ein Recht, die Diskussion zu führen, die ihr wollt. Nur eines muss man schon mal zur Kenntnis nehmen: Die christliche Religion ist eine Hochreligion, eine Geist Religion. Da muss zunächst etwas erklärt und begriffen werden. Man muss zunächst wissen, um was es hier eigentlich geht. Erst wenn man gehört und richtig verstanden hat, kann man sich überlegen, ob man sich damit einlassen will oder nicht. Der Glaube kommt nach den Klärungen. «
Zuerst waren alle völlig aufgebracht, dass ich ihnen zumutete, christliche Religion beginne mit Darlegung bestimmter Wahrheit, und zunächst müsse man darüber nachdenken, bevor man überhaupt vom Glauben reden könne. Dann meinte ein Mädchen: »Das ist ja völlig neu. Ich dachte immer, Religion sei eine Sache des Fühlens und der inneren Ahnungen. « Darauf ich: »Sie dürfen einen Mercedes der S Klasse nicht mit einer Seifenblase verwechseln. Die Seifenblase kann sehr, sehr schön sein, aber mit dem Mercedes kommen Sie auf jeden Fall etwas weiter. « Das Eis war gebrochen. Alles lachte.
Nun fragte ich, an welchen Bildern, Vorstellungen und Gedanken sie denn im Christentum am meisten Anstoß nähmen. Einer sagte: »Wenn ich an Gott denke, dann denke ich immer an den alten Mann mit dem Bart. « Und das könne ja wohl kein Gott sein. An dieser Stelle begannen wir unser Gespräch.
Ich fragte die jungen Leute: »Wisst ihr, wo dieses Bild mit dem Uralten und dem Bart und der Wolke herkommt? «
»Nein, keine Ahnung. Wir wissen nur, dass sich dieses Bild in den Köpfen erstaunlich lange gehalten hat. Und wer Gottesvorstellungen ablehnt, sagt: >Aber keinen alten Mann mit Bart! <«
Dieses Bild stammt tatsächlich aus der Bibel. Es steht im Danielbuch (Kapitel 7, Vers 9). Da heißt es: »Ich sah, wie Throne aufgestellt wurden, und einer, der uralt war, setzte sich. Sein Kleid war weiß wie Schnee und das Haar auf seinem Haupt rein wie Wolle. «
Gemeint ist etwas Einzigartiges: Hinter den Dingen ist ein Ursprung. Und dieser Ursprung wird genannt »der ganz Alte«, »der Uralte, aus dem alles Leben kommt«.
In anderen Religionen wird das übertragen mit »Bart«. »Beim Bart des Propheten« heißt es im Islam. Bart bedeutet soviel wie »lange Zeit«, »Weisheit«. Der Schwur »beim Bart des Propheten« ist das Schwören bei der Weisheit. Das sind Symbole, die wir in Europa verloren haben.
»Und sein Haar war weiß wie Wolle« – das ist die Ehrwürdigkeit des Alters, an dem die vergangenen Jahre, die im Alten sind, deutlich werden.
In Japan zum Beispiel darf man in den ländlichen Gebieten bis heute einen alten Menschen nicht überholen. Man muss auf die andere Straßenseite. Man darf nicht einfach an einem alten Menschen vorbeigehen, denn in ihm ist viel Zeit und die Summe der Erfahrungen. Die Summe der Erfahrungen birgt wieder Weisheit.
In dem »Uralten« ist die Lebenskraft, aus der alles andere kommt. Und Sie und ich, wir kommen aus dem Alten. Nicht »alt« im Sinne von »vergangen«, »unmodern«, sondern im Sinne von »ursprünglich«, »wo das Leben herkommt«.
Sie haben sich Ihr Leben nicht gemacht, und ich meines auch nicht. Ich komme aus dem Anfang, aus dem Alten. Aus dem Uralten aber kommt der ganze Kosmos. Man fand sich erstaunlicherweise in dieser Welt des Uralten zurecht, er war die Begründung allen Lebens. Jesus nennt ihn den Vater. Den Vater, aus dem alles kommt. Das bedeutet, ich habe mein Leben vom Vater.
Manche wollen ihr Leben lieber sich selbst verdanken. »Man kann«, sagte Willy Brandt, »über alles abstimmen, aber niemals über den Vater. « Das sagte er zu seinen eigenen Söhnen damals in den sechziger Jahren. Sie wollten ihn wohl gerade abwählen.
Wir kommen von dem »Uralten«, den Jesus den Vater nennt. Plötzlich bekommt dieses Bild von dem Uralten einen tiefen Sinn und kann neu verstanden werden. Wir nehmen heute an, dass die Menschheit mindestens zwei Millionen Jahre alt ist, die Erde fünf Milliarden Jahre und der ganze Kosmos rund zehn Milliarden Jahre. Diese Zahlen sprengen jede Vorstellung. Aber eines kann ich sofort denken: Vor allem war und ist Gott, aus dem alles kommt, der alles erhält und der bis zur Stunde alles auf sich hin bewegt. Gott selber ist es, der von Anfang an da war. Auf den alten Bildern wird der »Uralte« immer auf einer Wolke gezeigt. Die Wolke ist ein Symbol für die Verbindung zwischen der Erde und dem grenzenlosen Himmel. Die Wolke ist nicht mehr an die Erde gebunden; sie gehört auch nicht zum Himmel. Aber wer »über den Wolken thront«, der hat die Grenzenlosigkeit erreicht, ohne die Erde mit ihren Grenzen zu verlassen. Man muss diese Bilder wieder lesen können, dann geht einem auf, wie tiefsinnig in früheren Zeiten Gott gedacht und gemalt wurde.
Aber diese und andere Bilder sind noch keine Letztaussagen über Gott. Wer oder was Gott ist, das können wir gar nicht sagen. Da vermögen wir ehrlicherweise nur zu »schweigen«. Denn wir wissen es nicht. Und wenn wir etwas Gewisses von Gott hören und sehen wollten, dann trüge Gott selber die Beweislast. Das heißt: Dann müsste er sich selber zu Gehör beziehungsweise zu Gesicht bringen. Wenn Gott sich selber hören und sehen lässt, nennen wir das eine Offenbarung. In der Offenbarung »deckt Gott sich selber auf«. Und das wussten und wissen alle Religionen und Kulturen: Nur dort, wo Offenbarung geschieht, gibt es wirklich Antworten, gibt es Klärungen und Gewissheiten. Wo aber geschieht solche »Offenbarung«?
Wenn sich Gott offenbaren sollte, dann muss er das so tun, dass wir Menschen es verstehen. Er müsste sich also »menschlich«, das heißt zeitlich offenbaren. Aber wenn er sich menschlich und zeitlich offenbaren würde, dann käme er ja gerade nicht göttlich?!
Wie weiß ich denn nun, ob eine Offenbarung eine Offenbarung ist? Darum wird man sehr gut daran tun, dass man nicht jedem nachrennt, der sagt, er hätte etwas von Gott gehört oder gesehen. Wie viele Leute habe ich schon getroffen, die redeten von Offenbarungen, aber es war alles Einbildung, Spekulation, kurz gesagt, dummes Zeug. Und man sollte das eine Leben, das man hat, nicht auf die Dummheiten und religiösen Spekulationen nervöser Leute setzen!
Aber bevor wir weiter über Gott und Offenbarung nachdenken – was meinen wir eigentlich, wenn wir von Gott reden? Was oder wer ist das denn?
Dazu muss man auch etwas wissen: Die Bezeichnung »Gott« in unserer Sprache kommt aus dem Germanischen: »got« oder auch »guda«. Dieses Wort ist sächlich und weist auf jene Macht hin, die angebetet und angerufen werden kann und soll. Bischof Wulfila verwendete dieses Wort als Gottesname in seiner gotischen Bibelübersetzung. Gleichzeitig rückte dieser Gottesname in die Nähe des Wortes »gut«. So bekam der christliche Gott bereits durch den Namen einen stark moralischen Einschlag: Wer sich zu Gott hält, der hält sich zum Guten und ist gut. Dagegen ist ja grundsätzlich nichts zu sagen, aber der Name Gottes ist in der Heiligen Schrift ein anderer. Und dieser Name ist »aufgedeckt«, von Gott selber »bekannt gemacht«, nämlich »offenbart«.
Wir lesen im 2. Buch Mose (3. Kapitel) eine erstaunliche Geschichte: Mose muss Ägypten verlassen. Er hat einen Ägypter erschlagen, weil er erlebt hatte, wie dieser einen jüdischen Fremdarbeiter misshandelte. Mose war als ägyptischer Prinz selber von jüdischer Herkunft. Und als Mose nun in der Wüste war, erschien ihm eines Tages etwas sehr Seltsames. Da heißt es in 2. Mose 3,1-14:
»Mose aber hütete die Schafe Jitros, seines Schwiegervaters, des Priesters in Midian, und trieb die Schafe über die Steppe hinaus und kam an den Berg Gottes, den Horeb. Und der Engel des Herrn erschien ihm in einer feurigen Flamme aus dem Dornbusch. Und er sah, dass der Busch im Feuer brannte und doch nicht verzehrt wurde. Da sprach er: Ich will hingehen und die wundersame Erscheinung besehen, warum der Busch nicht verbrennt. Als aber der Herr sah, dass er hinging, um zu sehen, rief Gott ihn aus dem Busch und sprach: Mose, Mose! Er antwortete: Hier bin ich. Gott sprach: Tritt nicht herzu, zieh deine Schuhe von deinen Füßen; denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land! Und er sprach weiter: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Und Mose verhüllte sein Angesicht; denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen. Und der Herr sprach: Ich habe das Elend meines Volks in Ägypten gesehen und ihr Geschrei über ihre Bedränger gehört; ich habe ihre Leiden erkannt. Und ich bin herniedergefahren, dass ich sie errette aus der Ägypter Hand und sie herausführe aus diesem Lande in ein gutes und weites Land, in ein Land, darin Milch und Honig fließt, in das Gebiet der Kanaaniter, Hetiter, Amoriter, Perisiter, Hiwiter und Jebusiter. Weil denn nun das Geschrei der Israeliten vor mich gekommen ist und ich dazu ihre Not gesehen habe, wie die Ägypter sie bedrängen. So geh nun hin, ich will dich zum Pharao senden, damit du mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten führst.
Mose sprach zu Gott: Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehe und führe die Israeliten aus Ägypten? Er sprach: Ich will mit dir sein. Und das soll dir das Zeichen sein, dass ich dich gesandt habe: Wenn du mein Volk aus Ägypten geführt hast, werdet ihr Gott opfern auf diesem Berge.
Mose sprach zu Gott: Siehe, wenn ich zu den Israeliten komme und spreche zu ihnen: Der Gott eurer Väter hat mich zu euch gesandt! und sie zu mir sagen werden: »Wie ist sein Name?«, was soll ich ihnen sagen? Gott sprach zu Mose: »Ich werde sein, der ich sein werde. Und sprach: So sollst du zu den Israeliten sagen: Ich werde sein der hat mich zu euch gesandt«.
Das ist der Name Gottes: »Ich bin, der ich bin« (Jahwe).
Wir können auch übersetzen: »Ich bin da. Ich bin überall für euch da, und ich werde immer für euch da sein! « Das ist der Name und das Wesen Gottes.
Diese Geschichte offenbart den Gottesnamen. Wer nach dem Gott der Bibel fragt, fragt nach dem, der immer da ist, der überall da ist und der verborgen in allem wirkt.
Als etwa 1400 Jahre später Jesus von Nazareth auftritt, nimmt er geheimnisvollerweise diese Formulierung auf, wenn er sagt: »Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben« (Johannes 14,6). Und die Juden seiner Zeit ahnten Fürchterliches. Sie gingen zu ihm und fragten ihn in einem leidenschaftlichen Gespräch (Johannes 8,13 59): »Wer bist du denn? « In der folgenden sehr heftigen Auseinandersetzung sagt Jesus den folgenden Satz und nimmt damit den Gottesnamen auf: »Ehe Abraham wurde, bin ich! «
Ein Sturm der Entrüstung brach los. »Sie hoben Steine auf, um auf ihn zu werfen. « Diese Aussage Jesu erregt bis heute jeden glaubenden Juden und jeden Moslem, und nicht nur sie.
Kehren wir wieder zur Aufdeckung, zur Offenbarung des Namens Gottes zurück: Es geht in der Bibel nicht um einige Gesetze und Liebesvorschriften. Wer das sagt, verhandelt die Sache zu kurz. Es geht um das Geheimnis Gottes, um seinen Namen und sein Wesen. Name und Wesen Gottes sind eins: Ich bin, der ich bin, ich werde sein, der ich sein werde! Ich bin da. Schau in den Kosmos: Ich bin da. Schau hinter die Sterne, wenn du es könntest, ich bin da. Schau in die unendlich vielgestaltige Weltgeschichte, ich bin da. Schau in dein eigenes Leben, ich bin auch da.
Als 1961 die Mauer gebaut wurde, war ich da, und als sie 1989 wieder abgerissen wurde, war ich da. Wir Menschen sind nicht unter uns, sondern Gott ist unter uns da: Er ist vor uns und hinter uns, über uns und unter uns. Er ist auch in uns und gleichzeitig hinter allem Geschaffenen »in einem Licht, zu dem niemand kommen kann« (1. Timotheus 6,16).
Der Gottesname der Deutschen heißt »Gott«. Die Zulus in Afrika nennen Gott »Unkulunkulu«, das ist »der ganz Große«. Die Griechen nennen ihren Gott »Theos«, das ist »der Sehende«, »der Aufpasser«. Der Gott der Heiligen Schrift aber deckt seinen Namen und sein Wesen selber auf und sagt: Ich bin da! « Und wenn einer sagt: »Ich bin aber gottlos«, dann antwortet Gott: »Da bin ich auch! «
Man kann diese Offenbarung in Frage stellen, man kann darüber lachen, sie bestreiten, aber eines können wir nicht mehr: Wir können nicht so tun, als wäre sie nicht geschehen. Dieser Name ist offenbart in die Geschichte der Völker. Das Volk Israel gibt es nur, weil es diese Offenbarung gibt. Und uns Christen gibt es auch nur, weil es Israel gibt.
Da ist nicht von Moral die Rede, sondern von Gottes Nähe. Der Kern des christlichen Glaubens ist nicht eine Moral, es sind auch nicht die Liebesgebote! Und wenn eine ganze Kultur in Ost und West das sagt, und wenn unentwegt davon geredet wird, die christliche Religion sei dazu da, dass die Menschen besser werden, dass mehr geliebt werden soll usw., dann bin ich ja nicht dagegen und das Liebesgebot kommt ja auch in der Bibel vor – aber das ist nicht das Herzstück, darum dreht es sich im christlichen Glauben nicht. Nein und tausendmal nein!
Vielleicht leuchtet Ihnen das nicht ein, aber es ist so. Vielleicht haben Sie in Ihrer religiösen Erziehung etwas Moralisches mitbekommen. Das ist im Grunde das Verkehrteste, was uns passieren konnte. Dass Millionen von Menschen aus der Kirche ausgetreten sind, hatte mit der Moralität zu tun, denn Moralität ist Macht. Das ist genau das Gegenteil von dem, was dieser Gott sein wollte.
Moral, Ethik ist Forderung. Mit jeder Ethik können Sie einen Menschen in die Knie zwingen, Sie brauchen nur nachzubohren. Mit Moral können Sie jeden zur Strecke bringen. Jedem Pastor können Sie sagen: »So sind die Pastoren. « Sie haben recht, und er ist zur Strecke gebracht. Das klappt immer, darum gebrauchen wir es ja auch.
Und dann die Kreuzzüge! Die wenigsten wissen, wann sie waren, aber die sind ein unwiderlegbares Argument gegen die moralische Qualität der Kirche.
Die Kirche wird nicht wegen ihrer Dogmatik madig gemacht, sondern weil sie das, was sie dauernd an Gutem anbietet, selbst nicht hält.
Vergessen Sie das nie: Wenn Sie religiös erzogen worden sind, sind Sie immer auch moralisch erzogen. Ihre Eltern hatten eine Menge zu tun, damit Sie das wenigstens halbwegs begriffen.
Die Mitte des christlichen Glaubens, um die sich alles dreht, ist nicht die Moral, sondern die Person Jesus von Nazareth: In ihm deckt Gott sich, sein Wesen und seine Liebe auf. In Jesus zeigt er sein Ziel mit der Schöpfung und mit jedem Menschen. Jesus von Nazareth ist die Offenbarung Gottes. Er ist die Antwort auf unsere Fragen nach dem Woher und dem Wohin. Jesus ist die Antwort, die nicht wir geben, sondern der ewige Gott selbst! Nicht wir finden die Antworten auf unsere Fragen, sondern Gott.
Nach Vorträgen kommen junge und ältere Menschen immer wieder und fragen, wie sie denn nun mit Jesus von Nazareth zurechtkämen, was sie tun müssten und ähnliches. Dann antworte ich ihnen, was mir vor vielen Jahren auch jemand geraten hat: »Nehmen Sie sich das Neue Testament. Lesen Sie das Lukas Evangelium. Lesen Sie es von vorne bis hinten und fragen Sie nach der Gestalt Jesu. Lernen Sie vor allem und zunächst ihn kennen. Und dann warten Sie ab, was er mit Ihnen macht und ob Sie Vertrauen gewinnen, zu ihm und seinem Leben. «
Die Mitte der Bibel ist die Person Jesu. Nicht was er sagt, ist das Entscheidende, sondern dass er es sagt. Denn das, was er sagt, das ist er selbst. Die Begegnung mit dem Neuen Testament ist die Begegnung mit der Gestalt Jesu. Um mehr und um weniger geht es nicht.
Ich bin immer wieder erstaunt, wie oft Menschen unserer Zeit bereit sind, hierüber nachzudenken. Sie sind offen, wenn wir uns Zeit nehmen zu sagen, was christlicher Glaube bedeutet.
Wir müssen nur, so scheint mir, aufeinander hören und auch die Fragen zulassen, die so ganz anders sind, als fromme Leute sie gewohnt sind.
Wir brauchen auch keine Angst zu haben, wir würden dabei zu anspruchsvoll. Denn wir tun keinem einen Gefallen, wenn wir ihn aus dem »Kopf in den Bauch« entlassen. Ich habe inzwischen herausbekommen: Viele Menschen sind bereit, anspruchsvoll zu werden, wenn man ihnen nur Chance und Gesprächsstil dazu ermöglicht. Das war in diesem Jugendclub so, das ist unter Studenten und jungen Arbeitern nicht anders, und in unseren Führungsetagen von Banken und Wirtschaft gibt es viel mehr Aufgeschlossenheit, als wir ahnen. Nur, die Leute kommen nicht mehr zu uns; wir müssen zu ihnen. Und nicht wir bestimmen Frage und Antwort, sondern zuerst bestimmen sie, was sie fragen und was sie hören wollen.
In Berlin hatte ich ein sehr eindrückliches Erlebnis mit Christen und Moslems in einem Studentenwohnheim.
Wir saßen bei wunderbarem Sommerabend-Wetter im Innenhof. Natürlich kamen wir sofort auf das Thema Religion. Was sonst? Mohammed ist immer im Gespräch. Wir verabredeten, dass jeder das sagen und fragen dürfe, was er auf dem Herzen beziehungsweise im Kopf habe. Und jeder dürfe und solle ausreden.
Moslems R_K_by_Jerzy Sawluk_pixelio.de
Dann erzählten sie mir, was sie glaubten. Sie erzählten von Mohammed und von dem geheimnisvollen Erlebnis, das Mohammed in der Höhle Hira bei Mekka hatte, als er zum ersten Mal einen himmlischen Boten reden hörte. Sie sagten mir, warum sie glauben, dass es nur einen Gott gibt, Allah, und dass der heilige Wille Allahs im Koran stünde und so weiter. Wir redeten lange.
Es ist immer bewegend, wenn Menschen von ihrem Glauben reden, denn wer von seinem Glauben redet, der spricht immer auch von seinem Herzen.
Dann fragten sie mich: »Und was glaubst du? « Ich meinte, dass ich das gerne sagen würde, aber sie müssten nun auch etwas Zeit haben und möchten mich nicht unterbrechen. Da lachten sie und versprachen, Zeit zu haben und mich ausreden zu lassen.
Und ich erzählte: »Wir Menschen leben und lieben, leiden und suchen das Glück, und irgendwann beginnt das Fragen: Wo kommen wir her, wo gehen wir hin, und wie werden wir mit unserem Leben und Leiden und unseren Nöten fertig?
Gott sieht unser Leben, unser Suchen, unser Glück und unser Leid. Er sieht, dass wir oft beim besten Willen nicht zurechtkommen. Wir sollen nicht lügen, und wir lügen. Wir sollen Menschen lieben, aber wir können nicht lieben. Wir sollen Frieden halten, aber wir führen Krieg.
Da hielt es Gott nicht mehr aus. Er beugte sich ganz tief und kam als Kind auf die Welt, von der Jungfrau Maria geboren. Gott wurde Mensch! «
Sie riefen dazwischen: »Ja, aber das gibt’s doch gar nicht! Das ist Lästerung. Gott kann nicht Mensch werden! «
Ich erinnerte sie: »Ihr habt versprochen, ihr würdet auch ruhig sein. Lasst mich zu Ende erzählen.« Und dann erzählte ich ihnen das Leben Jesu, von seiner Herkunft, seinen Eltern, der Versuchung in der Wüste, seinen Wundern und Taten und von seinem »Ich bin«.
Da wurden die jungen Moslems ganz aufgeregt: »Aber Mohammed hat gesagt, das ist eine Lüge von den Christen. Gott hat gar keinen Sohn, und er kann auch nicht auf die Erde kommen! «
Da bat ich wieder: »Ihr habt mir versprochen, ihr wollt mich zu Ende reden lassen. «
»Ja, ist ja gut«, sagten sie, und ich erzählte weiter von dem Geheimnis Jesu, so wie wir Christen es empfangen haben:
»In Jesus machte Gott das Menschsein durch. Er lernte alle Höhen und Tiefen, alle Versuchungen und jede Sünde kennen. Obwohl Jesus selber nie gesündigt hat, hat er doch alles Elend und allen Jammer, alle Grausamkeiten und alle Verbrechen des menschlichen Herzens kennen gelernt. Und die Menschen haben in Jesus die Liebe des Vaters kennen gelernt: Alle Wunder, alle Heilungen und Hilfen und jede Freundlichkeit Jesu waren Zeichen der ewigen Liebe Gottes, die in Raum und Zeit gekommen war. In Jesus war Gott nun ganz nahe, ganz bei uns. Aber Gott kam klein und verwundbar, nicht mächtig und nicht zwingend. Er hat uns erlitten! «
Da waren die jungen Moslems wieder nicht zu halten: »Das gibt es doch nicht. So ist Allah nicht! Allah kommt nicht schwach. « Es war unglaublich für sie, und sie waren richtig aufgebracht.
Ich bat wieder: »Ihr habt versprochen, dass ich zu Ende reden darf Ich habe eben bei euch auch zugehört und habe immer nachgefragt, damit ich euch richtig verstehe. «
Kreuzigung Jesu – Gemälde von Michael Willfort
Sie wurden wieder still. Ich erzählte die Geschichte von der Kreuzigung Jesu: Und am Kreuz Jesu ging Gott in die letzte Einsamkeit. Er ging in und mit Jesus in die Hölle. Er trug am Kreuz das Gericht über alle Sünde, über alles Schreckliche, das jemals geschehen ist und geschehen wird. Gott trug am Kreuz sein eigenes Gericht. Er machte sogar den Augenblick durch, wo der Sohn aufschrie: »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?« Gott hat auch die Gottlosigkeit durchgemacht! «
Es war ganz still geworden.
Dann fragte einer der jungen Leute: »Und warum ist das passiert? «
»Er will bei uns sein in unseren Fragen und Nöten, in unseren Einsamkeiten und Widersprüchen, in unseren Schulden und in unserem Glück. Er ist auch bei uns, wenn wir gottlos werden. Als Jesus schrie: >Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? < da war Gott selber in der Gottverlassenheit! «
Da bat einer der jungen Moslems: »Sag das noch mal! « Ich wiederholte: »Als Jesus am Kreuz in die Gottverlassenheit musste, da erlebte Gott in Jesus die Gottverlassenheit. Und seit der Zeit weiß Gott, was Gottverlassenheit ist. Seit Golgatha ist Gott auch da, wo ihn keiner vermutet: In der Gottlosigkeit!«
Es war sehr still geworden.
Das Grab ist leer Jesus ist auferstanden
»Und dann wurde Jesus am dritten Tag von den Toten auferweckt. Da hat Gott zu ihm ein ewiges Ja gesprochen. Am Ostermorgen wurde nicht nur ein Toter auferweckt, sondern da hat Gott zu dem Gekreuzigten Ja gesagt. Das heißt: Was am Kreuz von Golgatha geschehen ist, das ist wahr. Das ist von Gott gewollt. Das war kein Fehler der Juden, kein Irrtum von Pilatus. Das Kreuz ist Gottes Kreuz. Das wollte er, das will er bis heute und für alle Zeiten bis zur Ewigkeit! «
Die Moslems waren unruhig. Denn in ihrem göttlichen Wort, im Koran, steht es ganz anders. Dort steht, dass Gott den Jesus (Isa) zu sich nimmt. Jesus wird nicht gekreuzigt, nicht getötet, die Juden haben ihn mit einem anderen verwechselt (Sure 4,157). Ich bat die Zuhörer: »Haltet das mal aus, wie wir Christen es verstehen und glauben.« Und fuhr ungefähr so fort:
»Und mit der Auferstehung bekommt der Gekreuzigte die Vollmacht im Himmel und auf Erden. Der gekreuzigte Jesus ist der Herr der Geschichte. Der Ohnmächtigste hat die Macht. Der Liebende ist der Herr. Und Jesus kann jetzt den Gottesnamen aufnehmen, wenn er sagt: Ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende (Matthäus 28,20).
Und wo immer Menschen sind, hat er jederzeit Zugang. Wo immer diese Botschaft vom Kommen Gottes in Jesus Christus gesagt wird, verbirgt er sich in dieser Botschaft und tut am Menschen, was die Botschaft sagt: Er kommt in die tiefsten Tiefen, um Menschen dort zu lieben, wie sie sind. Und er gibt einen Sinn, den es sonst in der Welt nicht gibt. Und er gibt eine Wahrheit, die sonst keiner weiß. Und er gibt einen Lebensmut und eine Freude, die man bei ihm nicht vermutet!
Wir müssen keine Götter werden, sondern Gott will Mensch werden. Er will uns nicht göttlich machen, sondern menschlich. Das ist die Erlösung Jesu: Durch seine Vergebung, durch seine Versöhnung schafft er eine neue Menschlichkeit. Sie besteht darin, dass wir niemals allein sind, immer geborgen und freigemacht zu einem versöhnten und hoffnungsvollen Leben. «
So ähnlich hatte ich es ihnen versucht zu sagen.
Ein Moslem meinte leise: »So etwas habe ich noch nie gehört. « Er hatte die Offenbarung Gottes gehört.
Es war Abend geworden. Alle waren sehr nachdenklich. Beim Abschied umarmte mich einer von ihnen und sagte: »Das wusste ich alles nicht, das hatte ich noch nie gehört! « Er lachte mich etwas verlegen an und grüßte mich mit dem arabischen Friedensgruß: »Salam. «
Die Offenbarung ist Jesus selbst, der gekreuzigte und auferstandene Herr. Der große, liebende Gott. Der Freund der Menschen! Das ist die Wahrheit der Christen. Und genau damit lassen wir uns ein, wenn wir Christen werden wollen oder es sind.
Gott ist Liebe – Umarmung_by_S.v.Gehren_pixelio.de
Autor: Klaus Vollmer
Quelle: gott.net e. V.