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641. Die Macht der Vergebung

Mittwoch, 28. November 2018 | Autor:

Gemälde von Hannes Stets

Die Macht der Vergebung

Es ist eine Sache über Vergebung zu reden und eine andere Sache, Vergebung zu leben.

Das Wort kommt vom Verb  „geben, weggeben“.  „Vergeben“ geht von der Vorstellung aus, dass man jemandem etwas schenkt, das man von ihm zu beanspruchen hat.

Im „Vaterunser“ lehrt Jesus: „Unser tägliches Brot gib uns heute und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir unseren Schuldnern vergeben haben“. Was hat das tägliche Brot mit dem Vergeben von Schuld gemeinsam? Das kleine Wort “und“ besagt, dass wir Menschen die tägliche Vergebung so  nötig haben wie das tägliche Brot.

Das Leben in Vergebung hat drei Beziehungsebenen: Gott zum Menschen, Mensch zu Mensch und der Mensch zu sich selbst. Gott hat uns Menschen durch Jesu stellvertretenden Tod  alle Schuld vergeben (Ps 103.3). Paulus schreibt: „Vergebt einander, so wie auch Gott in Christus euch vergeben hat“ (Eph 4.32).  Es ist Gottes Geschenk an alle Menschen. Aber ein Geschenk gehört mir erst dann, wenn ich es angenommen habe. Dann habe ich Vergebung von Gott, die mir der Heilige Geist bestätigt, eine neue Beziehung zum himmlischen Vater. Aufgrund dieser Kraft bin ich fähig, anderen Menschen Vergebung zu gewähren und um Vergebung zu bitten. Dann bin ich auch fähig, mir selbst zu vergeben, wo mir mein Gewissen ständig meine Schuld vorhalten will. Es gibt  Sünden oder Fehlentscheidungen im zurückliegenden Leben, die man sich selbst nicht vergeben kann oder will. Darüber muss man sprechen. Ein seelsorgerliches Gespräch kann ich in diesem Fall nur dringend empfehlen.

Der ehemalige Nürnberger Krebsmediziner Prof. Dr. Renner sagte: „Vergeben Sie allen, alles und allezeit – das ist Ihr Beitrag zu Ihrer eigenen Gesundheit, das ist heilende Selbstliebe.“ In diesen psychosomatischen Zusammenhängen erkennen wir die „Macht der Vergebung“. Vergebung ist Teil einer ganzheitlichen Medizin. Gestörte Beziehungen zu Gott, zum Mitmenschen oder zu sich selbst können den Körper krank machen.

Das erinnert mich an Frau Vundla, die ich 1982 in Sowjeto, Südafrika kennen lernte. Sie war die Frau  vom ANC-Chef, hasste wegen der Apartheid wie alle Schwarzen die Weißen. Als sie sich mit ihrem Mann zu Jesus bekehrt hatten, wurden beide frei vom Hass. Einige Jahre später erzählte sie mir: „Meine Tochter lag eines Morgens tot im Bett.“ Der Schwiegersohn hatte sie ermordet. Für sie ein schwerer Schlag. Die Warumfrage wuchs zur Anklage gegen Gott. In ihrer tiefen Trauer hörte sie auf zu beten und die Bibel zu lesen. Sie wurde körperlich krank, ging zum Arzt, der ihr dringend riet, wieder anzufangen zu beten und die Bibel zu lesen. Gehört, getan. Sie bat Gott um Vergebung, kam wieder zu Kräften und lebte erneut in der Freiheit der Kinder Gottes.

Petrus fragte Jesus: „Herr wie oft muss ich meinem Bruder, der an mir sündigt, vergeben? Reicht siebenmal? Jesus: Nein, siebzigmal siebenmal!“ (Mt 18.21). Rechnerisch heißt das pro Tag: bei 16 Stunden jede zweite Minute vergeben. Sollte ein Bruder, eine Schwester mich jede zweite Minute verletzen, bin ich aufgefordert, zu vergeben. Nicht aus eigener Kraft, sondern aus der Kraft Christi, weil ich die alten Kleider ausgezogen und die neuen Kleider angezogen habe. Oder wie es Römer 6 sagt: weil mein alter Mensch mit Christus gekreuzigt, gestorben und begraben wurde durch die Taufe, kann ich in einem neuen Leben wandeln.“ Durch Non-stop-vergeben bewahre ich mir einen freien Geist. Das Gegenteil von einem schwermütigen Geist. Ich muss auch nicht ständig irgend etwas „nachtragen“. Viele Christen schleppen alte Verletzungen mit, die sie längst abgeworfen haben sollten.

Vergebung ist kein Karussell, wo immer wieder dieselben alten Dinge angesprochen werden. Sondern das Ziel der Vergebung ist die Befreiung zu einem neuen Sein. „In Christus sind wir eine neue Schöpfung,  das alte ist vergangen, es ist alles neu geworden“ (2.Kor. 5.17). Das gilt es zu leben! Die Macht der Vergebung hat etwas mit einem neuen Geist zu tun. Der Kern unserer Persönlichkeit ist der Geist, dem sich die Seele unterordnen sollte. Der unerlöste Geist dient dem Geist Satans, der Welt und des Fleisches. Der erlöste, befreite Geist dient Gott, dem Vater, Sohn und Heiligen Geist. „So seid erneuert im Geist eurer Gesinnung“ (Eph. 4.23). Hier geht es um das Neudenken durch die Vergebungskraft Christi!

Rebecca Kiessling erzählte vor wenigen Tagen aus ihrem Leben: Rebecca ist das Kind einer Vergewaltigung. Die Mutter versuchte sie dreimal abzutreiben. Die Versuche schlugen fehl. Rebecca suchte später nach ihrer Mutter. Mutter und Tochter werden unendlich glücklich, als sie sich endlich kennenlernen. Rebecca konnte der Mutter vergeben, weil ihr Geist durch Jesus erneuert war. Die Mutter allerdings brauchte sechs Jahre, bis sie ihre Tochter ganz annehmen konnte. Der Heilungsprozess ihres inwendigen Menschen brauchte Zeit. Aber die Macht der Vergebung war stärker als alle Zerstörungsmacht Satans.

Als ich bei der Schalom-Konferenz 2007 in Oswiecim/Auschwitz als Deutscher öffentlich die Polen um Vergebung bat für das, was meine Vätergeneration im Krieg – bei dem auch mein  Vater dabei war – dem polnischen Volk angetan hatten, kam ein Jahr später die junge Frau Teresa zu mir und erzählte: „Ich habe die Deutschen gehasst, denn die Nazis erschossen 1939 meinen Großvater und andere Menschen vor den Augen der Kinder. Aber als ich deine Bitte um Vergebung hörte, begann ich umzudenken. Ich begann meine Tanten auszufragen und sammelte Fotos in der Verwandtschaft von damals.“  So zeigte sie mir diese Bilder und sagte freudig: „Jetzt liebe ich die Deutschen.“  Wir umarmten uns.  Hier fand Versöhnung statt, Versöhnung in der 2. und 3. Generation.

 

Vergebung ist einseitig, aber Versöhnung ist wechselseitig. Versöhnung wird nur dann gelingen wenn auch der Andere dazu bereit ist. Niemals aber sollte ein Jünger Jesu versäumen, den „ersten Schritt“ zu tun.

 

Jesus warnte: „Wenn ihr den Menschen ihre Fehler nicht vergebt, wird euch der himmlische Vater auch nicht vergeben“ (Mt. 6.15). Vergebung und Liebe sind Schwestern. Liebe zum Nächsten wächst durch Vergeben. Wer in der Vergebung lebt, lebt im Kraftfeld der Liebe Gottes. Vergebung ist der Wille Gottes und damit gelebter Glaube.

 

Okt. 2013, Hansjürgen Kitzinger, www.ak-sdsb.de

 

by_Reinhard Sandbothe_pixelio.de

 

Durch Vergebung zur eigenen Gesundheit beitragen

 

Das Thema des bekannten ehemaligen Krebsmediziners in Nürnberg Prof. Dr. Helmut Renner war „Vergebung und Versöhnung – was trägt der Mensch zu seiner Gesundheit bei?“ Für viele Hörer wurde sein Vortrag zu einem Schlüsselerlebnis für ihr Leben. Sie nahmen die These persönlich auf:

 

„Vergeben sie allen, alles und allezeit – das ist heilende Selbstliebe.“

 

Prof. Renner sprach von Vergebung als Teil einer ganzheitlichen Medizin. Die seelischen und geistigen Aspekte des Menschen sind für seine körperliche Heilung wichtig. Gestörte Beziehungen zum Mitmenschen oder zu sich selbst können den Körper krank machen. 85% aller Krankheiten haben ihre Ursachen im seelischen Bereich. Deshalb ist die körperliche Krankheit oft nur die Spitze des Eisbergs der seelischen Verletzungen, die mir von anderen zugefügt wurden oder umgekehrt.

Vergeben ist für jeden Kranken ein „Muss“, wenn er gesund werden will. Vergeben ist Egoismus pur. Durch Nichtvergeben schadet sich der Mensch selbst. Wer nach-trägt ist der Leid-tragende. Das Schlüsselwort der Vergebung heißt „Ich vergebe dir“, und zwar ohne Bedingungen, ohne Wenn und Aber. Natürlich ist es nicht immer leicht, denn der zugefügte Schmerz kann sehr groß sein.

Viele Verletzungen im Leben liegen lange zurück und „schlummern“ im Unbewussten. Sie sind vergessen aber nicht vergeben. Die Ablehnung eines Kindes während der Schwangerschaft kann sich bis ins spätere Leben desselben auswirken, wenn z.B. eine Mutter ihr Kind abtreiben wollte. Es stellen sich manchmal in späteren Jahren bei diesem Menschen Bitterkeit, Angst, Ablehnung, Misstrauen, auch Depression oder Sarkasmus ein, ohne die Ursache zu kennen.

Im Buch „Lysander – Grenzerfahrung einer Mutter“ erzählt Marianne Neeb von ihrem tiefen Schmerz nach der Tötung ihres Kindes Lysander in ihrem Leib. Sie bat Lysander und Gott um Vergebung und schreibt „ich weiß, dass er mir vergeben  hat“ (ISBN 3-8334-5230-7). Auch Verstorbenen muss, wenn nötig, vergeben werden. Ein seelsorgerliches Gespräch ist hierbei in jedem Fall zu empfehlen.

Die Steigerung von Vergebung ist Versöhnung. Vergebung ist einseitig, Versöhnung ist wechselseitig. Das Schlüsselwort für Versöhnung ist „Bitte vergib mir“. Vergebung ist immer möglich, Versöhnung wird nicht immer gelingen, wenn der andere nicht oder noch nicht bereit ist.

Versöhnung mit Gott allerdings ist immer möglich, weil Er jeden bedingungslos liebt. Liebe ist die Voraussetzung der Vergebung, Vergebung und Liebe hängen zusammen. Nur wer in der Vergebung lebt, lebt in der Liebe Gottes. Vergebung ist der Wille Gottes und ist gelebtes Christsein. Deshalb sollte jeder Mensch schon hier dem Mittler Jesus Christus danke sagen. Dann fällt es auch leichter, meinem Mitmenschen, vielleicht auch nur für eine Teilschuld, zu sagen „Bitte vergib mir“.

 

Bericht von einem Vortrag von Prof. Dr. H. Renner.   –    Von C&H. Kitzinger, www.ak-sdsb.de

 

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Thema: Lebendiger Glaube

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