94. Die apostolische Migration der Christenheit
Sonntag, 16. Mai 2010 | Autor: intern
Neben einigen wenigen Hochs, missionarischen Aufbrüchen in vielen Länder der Zweidrittel-Welt und lokal und zeitlich sehr begrenzten Triumph-meldungen einzelner Aktionen oder Kirchen erkenne ich in weitesten Teilen des westlichen Protestantismus ein in Jahrzehnten gereiftes Dauer-Tief: breite, wirklich tiefgehende Resignation, ein Drehen um sich selbst, und eine definitive Abwesenheit von Wachstum. Ein Christentum, dem Gott den Stecker gezogen zu haben scheint, aber keiner will es zugeben. Typische Symptome dieses Tiefs sind weiterhin: Stillstand trotz rasender Aktivität; grassierendes Burnout gerade der guten Leute; erstaunliche Unfähigkeit und Unwilligkeit, über den eigenen Tellerrand zu sehen und ein gleichzeitiges Verkrallen ins scheinbar Altbewährte; Vergötzung der Tradition, der Denomination, der Konfession, Kopierwut einzelner geistlicher Erfahrungen oder ganzer Einzelgemeinden – wie etwa Willowcreek – und eine Idealisierung zumeist von West nach Ost über den Atlantik importierter, pragmatischer Hauruck-Methoden.
Im letzten Freitagsfax2 habe ich ausgeführt, weshalb ich dieses „geistliche Tief“ auch die Babylonische Gefangenschaft der Kirche nenne – und dass der Heilige Geist in Babylon am Bahnsteig steht und in seine große Pfeife bläst und zum Aufbruch, Wanderung, Migration, zurück in das verheißene Land apostolisch-prophetischen Christentum ruft. Ich beobachte, dass sich diese Migration, eine Wanderbewegung, die sich quer durch das ganze Christentum zieht, in aller Regel systematisch in fünf Schritten oder Phasen vollzieht.
Ich nenne diese 5 Phasen –2 bis +2.
Es ist wie der Weg von einem Berggipfel zum andern: vom Berggipfel B (Babylon) sieht man Berggipfel P (Prophetisch-Apostolisches Christentum); er ist wie zum Greifen nahe – doch lässt er sich nicht in der Vogelfluglinie erreichen. Der Weg von B nach P erfordert einen oft mühsamen Abstieg, dass Durchschreiten eines Tals, und einen komplett neuen Aufstieg auf einen neuen Berg. Das bedeutet zum Beispiel auch, das die Leiter der vergangenen Ära des Christentums in den wenigsten Fällen auch zu den Leitern des Christentums der neuen, angebrochenen Ära werden. Hier die 5 Stationen im Einzelnen:
– 2: Unsere Kirche ist doch so schön!
Es – jawohl! – gibt Menschen, die nehmen den geistlichen Klimawandel noch immer nicht wahr. Ihr Glashaus ist fast perfekt. Sie finden, die Welt ist in Ordnung, die Kirche ist mitten im Dorf, der Chor singt gerade so schön, die Rente ist gesichert, die letzte Konferenz war klasse, ihre Kirche doch ganz prima. Sie halten das Reden von einer Babylonischen Gefangenschaft der Kirche bestenfalls für Schabernack und sagen:
„Verwirre mich nicht mit den Fakten“. Diese Vogel-Strauss-Mentalität kann sich sehr schnell als Tanz auf dem Vulkan entpuppen – wenn die Finanzen eng werden, die Leute wegbleiben, das Burnout – Fieber zuschlägt oder irgendein Unglück in der jeweiligen Idol – Gemeinde das Wolkenschloss zerstört. Menschen aus der Gruppe -2 müssen hören: lies ´ die Zeitung, sieh aus dem Fenster, achte auf die Zeichen der Zeit, wach´ auf, denn es brennt – oder stirb weiter aus.
NAI Apost.5 Schritte
-1: Der Spagat
Kennen Sie einen Propheten, der prophezeite, dass in Zukunft alles beim Alten bleibt? Na bitte. Gruppe -1 hat sehr wohl von Gott gehört und erkannt, dass es so nicht weitergehen kann. Sie fordert: es muss etwas geschehen – aber es darf nichts passieren! Man sieht zwar inzwischen ein, dass man im falschen Bus sitzt, aber…bleibt sitzen! Der Sitz ist so warm, die Sitznachbarn so nett, man hat das Ticket ja immerhin bezahlt, und überhaupt, was sollen denn die andern denken. Man ist innerlich zerrissen. Man hatte eine Vision, ist hungrig geworden, hat begonnen zu suchen, ist über Apg. 2,42-47 gestolpert, steckt in einer kreativen Krise. Der Geist ist vorausgeeilt, doch der Körper ist noch hier, in der alten Struktur. Wegen den Kindern, wegen den Freunden, wegen … wegen… Doch die Differenz zwischen Soll und Ist wird immer größer, das Leben zum Spagat – bis der Frustrationsquotient so groß wird, dass man dennoch aufsteht und auf den großen, roten Knopf drückt – und aus dem Bus steigt. Die Botschaft an –1 lautet: sei endlich ehrlich und konsequent, mache dem Spagat ein Ende. Mach´s nicht wie Jonathan: er verbündete sich mit David, dem Apostel des Neuen, doch starb aus Sentimentalität mit Saul und seinem System.
0: Die Wüste
Hier zieht man die Notbremse, steigt endlich aus dem Bus aus und ist – gute Güte! – in der Wüste. Das Thema dieser Phase lautet: Durststrecken, Neuorientierungen, Zerbruchsphasen, Weizenkorn-erfahrungen. Altes muss sterben, damit das Neue Platz bekommt. Pastoren und andere Leiter werden zu Briefträgern, Schuhverkäufern und Taxifahrern. Man ist zwar aus Babylon emigriert, aber nun muss das Babylon in uns sterben. Wir sind zwar aus dem System ausgestiegen – aber nun muss das System aus uns heraus. Dies ist die Zeit für religiöse Quarantäne und kirchliche Entgiftungskuren; Zeit, das Hamsterrad der kirchlichen Über-Aktivität auslaufen zu
lassen und zur Ruhe zu kommen. Botschaft: Stirb gründlich! Nicht zu lange in Wüsten- Oasen das Unvermeidliche hinauszögern und mit Mitteln von Gestern das Morgen herbeizwingen. Das göttlich arrangierte Sterben des frommen Ichs , des religiösen Fleisches , das Überwinden des konsumentenorientierten Christentums ist wie eine Entziehungskur. Und, so unsere Beobachtung, kostet mehr Zeit, als die meisten
denken. Faustformel: Für jedes Jahr passive Teilnahme am tradierten Christentum ein Monat Quarantäne. Für Aktive: mindestens doppelt so lange.
NAI Apost.Jordan
+1: Der Jordan
Nach dem Tod kam die Auferstehung – und neue Hoffnung, Mut, Vision. Man ist nun bereit für „das Neue“. Und doch bleibt man zögernd auf der Wüstenseite des Jordans stehen, sieht das Neue zum Greifen nahe, hört schon die Kuhglocken im verheissenen Land – aber es fehlt noch ein letzter, erntschlossener Schritt. Soll man wirklich da hindurch? Hier geht es darum, einen Schlussstrich zu ziehen, das Alte definitiv zu verlassen und in das Neue einzutreten. Man hat inzwischen neue Verbündete gewonnen, die man in der Wüste auf der Wanderschaft kennengelernt hat und gemerkt: ich bin ja gar nicht allein, wir sind unübersehbar Viele! Es ist aber, wie wenn man nochmals das Laufen lernen muss, so anders ist das biblische Christentum im Vergleich zur babylonischen Variante.Und hier müssen wir unweigerlich tun, was Jonathan nie tat: wir müssen uns von alten Seilschaften und Sympathien lösen, uns entbinden, entbünden, sonst werden wir wie mit einem Gummiseil am Rücken immer wieder ins alte System zurückgezogen. „David stand auf und ging weg. Jonathan aber ging in die Stadt“ (1. Sam. 20,42). Jonathan hätte ebenfalls aufstehen und mit David weggehen sollen. Die Botschaft: verabschiede Dich kurz und schmerzlos vom alten System – und dann ab ins Wasser!
NAI Apost. Besiedlung
+2: Apostolische Besiedlung
Man überquert den Jordan und beginnt, mit anderen gemeinsam das verheissene Land einzunehmen: seinen
geographischen Ort, seine persönliche Berufung und die Menschen zu finden, mit denen Gott uns zusammen-gestellt hat. Hier spielt die selbstsüchtige Frage: Welche Kirche ist die beste für mich keine wirkliche Rolle mehr. Viel zentraler ist die Frage: welche Kirche ist richtig für Gott und seine Ziele? Wie in Zeiten der Urkirche geht es dann wieder neu um apostolische – der ursprünglichen Sendung von Gott entsprechenden – regionale Strategien, Hauskirchennetzwerke, Stadtkirchen, stadtweite diakonische Dienste, 5fältige Dienstteams uvm. Durch diesen Prozess der Migration wird nicht nur Kirche wieder zu dem, wozu sie Gott ursprünglich gedacht hat, sondern auch wir finden den uns von Gott zugedachten Platz, den Ort unserer Berufung. Wenn es das nicht wert ist, dafür alles liegen und stehen zu lassen, was dann? Wo auf dieser Wanderung stehen Sie? Wie lautet deshalb der nächste Schritt? Und wo stehen diejenigen, die Ihnen nahe stehen? Nehmen Sie doch einmal ein grosses weisses Blatt, zeichnen Sie ein solches „U“ darauf, tragen sie die Schritte -2 bis +2 ein und fügen sie bei diesen 5 Phasen jeweils die Namen von Menschen hinzu, die ihrer Meinung nach dort gerade stehen. Und dann sprechen Sie mit diesen Menschen und helfen ihnen, ihren eigenen Standort zu verstehen – und ebenfalls auf die Wanderung zu gehen. Es gibt viel zu gewinnen – und nur wenig zu verlieren!
Quelle Freitagsfax 2 Ausgabe 2/2005 12.Aug. 2005,
Autor Wolfgang Simson