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483. Nachdenkliches für Manager – Die Jugend vergessen? 7-98

Montag, 19. Oktober 2015 | Autor:

Lieber Blog Besucher,

die tiefsinnigen Gedanken von Karlheinz Binder haben mich viele Jahre erfreut und immer wieder zum Nachdenken angeregt. Genießen Sie diese Worte und nehmen Sie davon etwas in Ihrem Alltag mit.

 

 

Die Jugend vergessen?

„Bitte Nichtraucher und möglichst einen Gangplatz“ sagte ich zu der smart uniformierten Dame hinter dem Eincheck-Schalter der Fluglinie. Sie warf einen kurzen Blick auf ihren Bildschirm, sagte dann: „Das läßt sich machen, Sir“, und mit sägendem Geräusch lieferte der Drucker meine Bordkarte.

Als ich in der Maschine meinen Koffer verstaut hatte, nickte mir mein Nachbar auf dem Mittelplatz freundlich zu. Ich grüßte zurück und ordnete ihn in meinem Hinterkopf blitzschnell ein: Circa 30 Jahre, Manager, aufgeschlossen, dynamisch, zielbewußt mit verbindlichem Ehrgeiz. Ein Typ, den ich mochte.
Ganz kurz bevor die Gangway weggefahren und die Tür geschlossen wurde, kam der dritte aus unserer Sitzreihe, Inhaber des Fensterplatzes. Mittelgroß, schlank, dunkelblauer Anzug, Maßarbeit, Schuhe vom Feinsten. Ich stand auf, ließ ihn an mir vorbei, sein Blick und das knappe Wort Danke streiften mich kurz, meinem Nachbarn gab er die Hand, sah ihm dabei aber nicht in die Augen, und dann setzte er sich.
Als wir die Reiseflughöhe erreicht hatten, legte er seinen teuren Aktenkoffer auf die Knie, öffnete ihn, vertiefte sich in Unterlagen, wandte dann seinen Kopf zu meinem jungen Nebenmann und sagte: „Bitte, geben Sie mir den Vertragsentwurf für morgen früh.“
„Den habe nicht ich, sondern Dr. Hahn, unser Justitiar. Wie er mir sagte, hatten Sie beide verabredet, daß er den Text noch einmal überarbeitet und ihn heute Abend ins Hotel mitbringt.“ Der Ton des anderen, älteren, wurde hörbar kühler: „Aber Sie haben sicherlich eine Kopie der älteren Version dabei?!“
„Nein“, war die Antwort.
„Dann hätten Sie sich, verdammtnochmal, gefälligst eine besorgen können! Muß man sich denn um alles selber kümmern, nur weil andere offensichtlich unfähig sind?“ Und seine Stimme klang wie das Eis in meinem Glas mit Tonic-Water.
Ich sah ihn sehr erstaunt über einen solchen Ausbruch von der Seite an, da wandte er sich mir zu und sein Blick signalisierte: Wenn du nicht sofort wegsiehst, passiert dir das gleiche.

Bis zur Landung herrschte Schweigen. Die beiden gingen beim Aussteigen getrennte Wege und ganz zufällig standen der junge Manager und ich nebeneinander in der Schlange vor der Paßkontrolle.
„War das Ihr Boß?“ fragte ich ihn. Er nickte: „Leider ist der immer so. Er hält große Reden, wie wichtig und zukunftsnotwendig die Menschen im Betrieb sind, allerdings gibt es zwischen Wort und Tat, zwischen Wollen und Tun, zwischen Erkenntnis und Umsetzung ein großes, problematisches Defizit. Aber“, ergänzte er, „ich werde ihn nicht mehr lange ertragen müssen, ich bin auf dem Absprung.“

Steht nicht, ging es mir durch den Kopf, steht nicht in den Verfassungen aller freiheitlicher Staaten dieser Welt der Satz: Die Würde des Menschen ist unantastbar?
Diskutieren wir nicht in unseren Unternehmen seit über zehn Jahren neue, hehre Grundsätze der Mitarbeiterführung und einer Company-Culture? Und da hält so ein Mensch, mein Kollege Weber würde sogar drastisch sagen, so ein Giftzwerg, Reden über den Stellenwert der Mitarbeiter und sein Verhalten ist das genaue Gegenteil. Begreifen wir eigentlich noch immer nicht, daß wir auf diese Weise die Aufrechten verlieren und die mit dem krummen Rückgrat und dem jederzeit präsenten „Ja, Chef!“ behalten?
Haben wir vergessen, daß wir selber einmal jung und auf Geduld und Verständnis der Erfahrenen angewiesen waren?
Da sagen uns die Journalisten der Wirtschaftsblätter, die Soziologen, die Psychologen, die Management-Gurus und wer weiß sonst noch, immer und immer wieder: Wichtigste Aufgabe der Unternehmer und Führungskräfte ist es, die Zukunft des Unternehmens zu gestalten und zu sichern. Wir nicken mit dem Kopf und wissen: Nichts anderes als allein Ideen, Dynamik, Mut, Entscheidungskraft, Phantasie und Charakter entscheiden darüber, wo wir in den nächsten drei, fünf und zehn Jahren stehen. Wir wissen, daß alle diese Faktoren nicht materiell sind, sondern latent oder sogar schon real vorhanden in den Köpfen und Herzen von Menschen und was tun wir dafür?
Können wir noch immer nicht begreifen: Genau diese Jungen, die Ungestümen, die Querdenker, die Infragesteller, die mit dem Mut, auch einmal Fehler zu machen, die sind unser Zukunftspotential. Es ist tödlich, sie auf Stromlinienform und Kadavergehorsam zu trimmen, ihnen Stallgeruch anzuerziehen, sie zu behandeln wie No-Name-Produkte und sie damit von Menschen auf Stelleninhaber zu reduzieren. Genau das vernichtet ihren Idealismus, ihre Begeisterung, ihre unbekümmerte Art, ihren Ideenreichtum und ihre Loyalität. Und auf diese Weise werden wir sie, wie meinen jungen Nachbarn, los.

Wir Manager und Unternehmer verwenden eine Menge Zeit darüber nachzudenken, wie wir Arbeitsabläufe, Maschinenausstattungen und Organisationsformen verbessern könnten. Sollten wir nicht viel mehr über unsere Mitarbeiter nachdenken?
Adolf Kolping hat einmal in einer Rede gesagt: „Wer Menschen gewinnen will, der muß sein Herz investieren!“ Geht nicht dieser Satz für mich selber so weiter?: „Wer seinen Ehepartner gewinnen will, der muß sein Herz investieren. Wer seine Kinder gewinnen, will, der muß sein Herz investieren. Wer seine Mitarbeiter gewinnen will, der muß sein Herz investieren.

Wer waren eigentlich diejenigen, von denen wir auf gute Weise geprägt worden sind? Mit Sicherheit solche, die nicht nur Erfolge, sondern auch Charakter hatten. Ein inneres Fundament, das ihre Persönlichkeit ausmachte. Menschen mit Kopf und mit Herz, mit Wahrhaftigkeit und klaren, moralischen Maßstäben. Menschen zum Anfassen, als erlebbares Vorbild, Menschen mit Verständnis und Geduld für uns junge, noch in vielem unerfahrene Karriereaspiranten.
Es ist das Recht der Jungen, Bewährtes in Frage stellen zu dürfen, Kritik zu üben, Begründungen zu fordern, Bastionen zu stürmen, ungestüm und vielleicht sogar respektlos zu sein. Ich weiß, das ist nicht immer leicht, das macht unserem Selbstverständnis und unserer Ungeduld zu schaffen, aber wir müssen bereit sein, das zu tragen, zu ertragen und eines zu begreifen: Dynamik, schöpferische Impulse, neue Ideen, auf die Zukunft gerichtete Denkweisen, sie kommen aus dem Spannungsmodell des Gegensätzlichen.

Alles um uns und in uns unterliegt dem Gesetz der Polarität. Anziehungs- und Fliehkraft, Sommer und Winter, Tag und Nacht, Sonne und Regen, Frost und Hitze, Einatmen und Ausatmen, Jung und Alt.
In jeder Gemeinschaft, sei es eine Firma, ein Verein, eine Partei, eine Bewegung, gibt es die Progressiven, die am liebsten das Frühere über Bord werfen, alles in Frage stellen, alles verändern wollen.
Und es gibt die Konservativen, die am liebsten die Dinge so lassen, wie sie sind. Die zuerst einmal gegen Neues Bedenken anmelden. Ihre Sätze fangen normalerweise so an: Ja, aber..

Und alle diese Menschen gehören zu uns. Wir brauchen sie. Die Eroberer und die Bewahrer, die Stürmer und die Verteidiger, die Furchtlosen und die Bedächtigen, die Jungen und die Alten.
Wer nur noch Jasager um sich duldet, wer Anpassung erwartet und verlangt, der stellt damit die Weichen zum fruchtlosen Stillstand.
Leben, lebendiges Leben ist immer Polarität, ist immer Spannungsmodell und wenn jemand in der Lage zu sein hat, das auszuhalten, dann die Erfahrenen, Bewährten, Gereiften, die Älteren.

Ich fordere uns auf, dort intolerant zu sein, wo Menschen anderen Menschen die Würde nehmen. Ich fordere uns auf, dort intolerant zu sein, wo uns Unehrlichkeit, Untreue und Verführung begegnen. Ich fordere uns auf, uns gegenüber intolerant zu sein, wo Betriebsblindheit, Unfehlbarkeitswahn und Egozentrismus angefangen haben, von uns Besitz zu nehmen. Und ich fordere uns auf, uns selbst gegenüber intolerant zu sein wo wir die Frage nach den Sinn unseres Lebens, die Frage nach der Verantwortlichkeit für unser Denken und Tun und die Frage nach dem Letzten, alles Entscheidenden, die Frage nach Jesus Christus, immer wieder vertagen.
Karlheinz Binder

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Thema: Nachgedacht

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