477. Nachdenkliches für Manager – Gewichtsprobleme 3-97
Montag, 19. Oktober 2015 | Autor: intern
Lieber Blog Besucher,
die tiefsinnigen Gedanken von Karlheinz Binder haben mich viele Jahre erfreut und immer wieder zum Nachdenken angeregt. Genießen Sie diese Worte und nehmen Sie davon etwas in Ihrem Alltag mit.
Gewichtsprobleme
„Du“, sagte ich zu meiner Frau und strahlte über das ganze Gesicht, „ich habe abgenommen“.
„Gratuliere“, antwortete sie mir und ließ ihren Blick prüfend über meine Figur wandern, „man sieht es zwar noch nicht so recht, aber vielleicht fängt bei Dir dieser Prozeß ja inwendig an“.
Ich ging zurück ins Badezimmer und stellte mich erneut auf meine hochtechnisierte, elektronische Waage mit langjähriger Garantie. Die Zahlen der digitalen Anzeige sprangen einigemal hin und her und dann kam das Endresultat: Kein Zweifel, es blieb dabei, ich wog weniger als vor einer Woche.
Mich erfüllte ein stiller Stolz über meine energische Beharrlichkeit, das optimale Gewicht wieder zu erreichen und als am nächsten Morgen das Ergebnis abermals niedriger lag, stürmte ich beschwingten Schrittes in den Tag und fühlte mich leicht wie eine Feder.
Am gleichen Abend aber hatte ich laut Wiege-Ergebnis gegenüber dem Morgen glatte, volle drei Kilo verloren und das machte mich stutzig.
Ich kramte die ausführliche Gebrauchsanweisung in sage und schreibe sieben Sprachen für mein Gewichtsermittlungs-Instrument hervor, suchte mühsam nach dem Erklärungstext in Deutsch und las: Zeigt das Gerät plötzlich unrealistisch erscheinende Werte an, drücken Sie bitte auf den Knopf für die Kontrolle der Batterie. Erscheint im Display ein „E“ muß sie ausgetauscht werden. Und so war es auch.
Schweren Ganges stieg ich hinunter ins Gästebad. Kletterte dort auf die alte, knarrende, ehrwürdige und ganz mechanische Waage und da schlug die Stunde der ernüchternden Wahrheit: Nicht meine Energie, sondern die nachlassende des Akkus hatte den Scheinerfolg produziert, es war alles beim alten geblieben.
Während ich über meinen Mißerfolg grübelte, erinnerte ich mich an eine Begebenheit, die in der Bibel beschrieben ist. Da wurde auch einer gewogen. Nur im Gegensatz zu mir war es nicht sein Ziel abzunehmen, sondern immer gewichtiger zu werden. In Statur, Bedeutung, Renommee, Machtfülle, Erfolg und Selbstverständnis.
Und weil solche Menschen, wie jeder von uns, immer wieder Bestätigung durch die anderen brauchen, lud dieser Mann,
Belschazzar, Herrscher über das damalige Weltreich Babylonien, die wichtigsten Leute seines Staates, die Großen, in die Hauptstadt zu einem Bankett ein und ich kann mir denken, daß viele Huldigungsreden zu seiner Ehre gehalten wurden, denn sein Wort und sein Wille waren schließlich Gesetz im gesamten Reich. Wehe dem, der sich da unbeliebt machte, gegen die ungeschriebenen aber erwarteten Ergebenheitsrituale verstieß und damit die Gnade seines Chefs verscherzte. Er war erledigt.
Es wurde ein rauschendes Fest, das -wie so oft üblich- in ein Besäufnis überging und zu fortgeschrittener Stunde ließ Belschazzar im trunkenen Übermut die beim Krieg gegen Jerusalem aus dem Tempel erbeuteten Kultgefäße bringen und aus denen trank man weiter. Aber dann geschah das, was mich schon als Kind so sehr beeindruckt und beschäftigt hat: Eine geisterhafte Hand schrieb einen Satz an die weiße Mauer und Belschazzar fing an zu ahnen: Das ging ihn an. Und sein Gesicht nahm die gleiche Farbe an wie die Wand.
Daniel, einer der Gefangenen aus Jerusalem, eilig herbeigeholt als der einzige, der das Geschriebene identifizieren konnte, las ihm vor: „Mene mene tekel“ und er lieferte ihm die Übersetzung gleich mit: „Gewogen, gewogen und zu leicht befunden.“
Mein König, sagte er, nimm zur Kenntnis, in Deinem Leben gibt es Gewichtsdifferenzen. Deine Einschätzung über die eigene Person und die berechnet wohlklingenden, servilen Schmeichelreden Deiner Vasallen haben zu einer Meinungsbildung geführt, die Selbsttäuschung ist. Alles andere hast Du in Deinem Leben für wichtig erachtet, nur nicht Gott. Den Gott, der Deinen Lebensatem in seiner Hand hat. Du hast ihn weder geehrt, noch steht er auf Deiner Rechnung. Du täuschst Dich dramatisch über Deine eigene Person, obwohl es genügend konkrete Berichte darüber gibt, was aus Menschen wird, deren Ich ihr eigener Lebens-Mittelpunkt ist. Und Du hast noch eines vergessen: Daß Gottes Maßstäbe und Eichmaße anders sind, als die Deinen.“
Und nun frage ich Sie, der Sie gerade diese Zeilen lesen: Ist Ihnen im letzten Absatz etwas aufgefallen? Ich habe sowohl gegen die alten, wie auch gegen die neuen Regeln der Rechtschreibung verstoßen, denn „Dein“ und „Du“ müssen grundsätzlich klein geschrieben werden beim Zitat von Dialogen, Artikeln und Vorträgen. Große Anfangsbuchstaben sind nur erlaubt in der direkten Anrede einer konkreten Person.
Laut Duden habe ich einen Fehler gemacht.
Aber bewußt, denn ich ahne: Die konkrete Person ist hier nicht nur der kreidebleiche Belschazzar, sondern sind Sie und ich!
Mit einem energischen Gruß von Daniel,
Karlheinz Binder