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248. Relativismus

Sonntag, 27. Februar 2011 | Autor:

Blitze_web_R_K_by_Kai Tholen_pixelio.de

 

Relativismus

Ein weitverbreitetes Ideal der heutigen Zeit ist der Relativismus. Es lohnt sich, näher zu untersuchen, was sich hinter diesem Begriff verbirgt. Grundsätzlich besagt der Relativismus, dass alle Wahrheit relativ ist. Absolut gültige Wahrheiten gibt es demnach nicht. Die Begründung dafür ist, dass jede logische Schlussfolgerung von bestimmten Denkvoraussetzungen ausgeht. Diese Voraussetzungen wiederum sind die Schlussfolgerungen aus anderen Denkvoraussetzungen und so fort. Eine Argumentation ist also nie frei von Unbewiesenem. Am folgenden Beispiel eines Heißluftballons wird das veranschaulicht. Die Denkvoraussetzungen dabei sind: „Warme Luft steigt nach oben.“ und „Im Ballon ist warme Luft.“. Ausgehend davon kann man logisch schlussfolgern: „Ein Ballon voll warmer Luft wird nach oben steigen.“ Diese Schlussfolgerung ist aber nur zutreffend, wenn auch die beiden Voraussetzungen zutreffend waren. Der nächste Schritt ist also, auch die Voraussetzungen zu beweisen: Die erste Voraussetzung „Warme Luft steigt nach oben.“ ist nur dann richtig, wenn man von folgenden Denkvoraussetzungen ausgeht: „Warme Luft ist leichter als kalte Luft.“ und „Das Gravitationsgesetz gilt immer und überall.“ Auch diese beiden Voraussetzungen müssten wiederum bewiesen werden. Dazu muss man allerdings wieder auf andere Denkvoraussetzungen zurückgreifen. Um das Gravitationsgesetz zu beweisen, muss man von folgenden Denkvoraussetzungen ausgehen: „Die Ergebnisse eines Gravitationsversuches gelten nicht nur am Ort der Versuchsdurchführung, sondern überall.“ und „Eine Beobachtung, die in der Vergangenheit gemacht wurde, wird sich in der Zukunft wiederholen.“ So kann man das logische Schlussfolgern immer weiter betreiben. Dieses Schlussfolgern hat kein Ende. Zu einem letztlich schlüssigen Beweis kommt man nie. Denn jede Denkvoraussetzung müsste wieder neu bewiesen werden.

Wenn man also den Anspruch hätte, nur solche Entscheidungen zu treffen, deren Richtigkeit bewiesen ist, dann könnte man überhaupt nicht mehr handeln. Da dann aber das komplette Leben auf der Erde still stehen würde, ist man gezwungen, von einer ersten Voraussetzung auszugehen, die nicht weiter bewiesen wird. Beispielsweise davon, dass das Gravitationsgesetz ein immerwährendes Naturgesetz ist. Weil dies aber letztendlich nicht beweisbar ist, sollte diese, wie auch jede andere Wahrheit als relativ bezeichnet werden. Der Relativismus gibt uns eine realistische Sichtweise davon, wie leistungsfähig der menschliche Verstand ist. Der Verstand kann demnach nichts letztlich beweisen. Das heißt, jeder muss glauben. Trotzdem ist der Verstand ein wichtiges Werkzeug, weil er die logischen Verbindungsfäden zieht zwischen den geglaubten Annahmen und den Folgen, die sich aus diesen Annahmen ergeben.

Der Relativismus macht keine Aussage darüber, was man glauben soll, sondern nur wie man glauben soll. Das heißt, er sagt nichts Inhaltliches, beispielsweise ob Gott existiert oder nicht. Sondern nur, dass logische Begründungen, egal ob sie für oder gegen die Existenz Gottes sprechen, nur relativ, aber nicht absolut richtig sind.

Bei der Betrachtung des Relativismus muss man sehr genau vorgehen, weil Details leicht übersehen werden. Manche Relativisten sagen nämlich, dass Wahrheit relativ ist, wohingegen man genaugenommen nur sagen kann: „Wahrheit ist mittels des Verstands nur relativ beweisbar.“ Ob die Wahrheit aber letztlich relativ oder absolut ist, kann man nicht zeigen. Vielleicht ist die Wahrheit absolut, aber sie ist zumindest nicht mit dem Verstand als absolut beweisbar.

Welchen Unterschied macht es für das reale Leben überhaupt, ob etwas nicht absolut, sondern nur relativ beweisbar ist? Hat die ganze Überlegung überhaupt einen realen Wert oder ist sie nur ein bedeutungsloses Gedankenspiel?
Im Hier und Jetzt macht der Relativismus keinen greifbaren Unterschied. Sein Nutzen liegt nur im Hinblick auf die Zukunft. Er sagt nämlich: „Egal, welche Ansichten man vertritt, sie sollten immer vorläufig sein.“. Das bewahrt einen davor, kritik- und korrekturunfähig auf schädlichen Ansichten zu verharren. Diese Erkenntnis hilft einem, im Denken beweglich zu bleiben und das Ohr vor sachlichen Argumenten nicht zu verschließen. Sollte man einen schädlichen Weg eingeschlagen haben, dann sorgt die Vorläufigkeit der Denkposition dafür, dass man noch umkehren kann, um einen anderen Weg einzuschlagen.

Die Notwendigkeit von Absolutem

Was das reale Leben im Hier und Jetzt angeht, hat der Relativismus keine Bedeutung. Es ist für ein normales Leben sogar notwendig, bestimmte Sachen als absolut anzusehen. Sobald man eine Entscheidung trifft und ausführt, hat sich die Gedankenwelt unwiderruflich in eine Tatsache verwandelt. Und zwar hat sie sich derart verwandelt, das man vernünftigerweise von einer absoluten Tatsache sprechen sollte. Eine absolute Tatsache meint hier, dass sich alles andere an dieser Tatsache orientieren muss. Sie steht fest. Am folgenden Beispiel wird das deutlich: Es gibt Menschen, die aus einer bestimmten Denkposition zu dem Entschluss kamen, eine hohe Steinmauer zu bauen, beispielsweise wie in Berlin, Belfast, der Westbank oder quer durch China. Die inhaltliche Begründung für diese Entscheidung kann dabei unterschiedlich sein. Beispiele für Begründungen sind: „Schutz vor Terroristen, verfeindeten Nachbarsvölkern, wilden Tieren oder Naturkatastrophen; Sicherstellung von Herrschaftsansprüchen, von ethnischer, ideologischer oder wirtschaftlicher Trennung.“. Sobald der Entschluss ausgeführt wird und die Mauer aufgebaut wird, tut der vernünftige Mensch gut daran, die Mauer als absolute Tatsache zu akzeptieren. Alles andere wäre schädlich. Denn wenn er sie nur als relativ real verstehen würde, könnte er auf die schmerzvolle Idee kommen, durch die Mauer hindurchlaufen zu können. In diesem Sinne sollte man manche Tatsachen als absolut ansehen. Natürlich ist die Mauer insofern relativ, dass es durchaus möglich ist, sie in Zukunft wieder abzureißen. Aber eben nur in der Zukunft. Man sieht auch hier, dass der Relativismus nur im Hinblick auf die Zukunft seinen Wert hat, nicht aber im Hier und Jetzt. Er hat keinen Wert, was den Umgang mit der jetzigen Realität um uns herum betrifft.
Es ist irrelevant, ob der Entschluss zum Bau der Mauer aus einer relativen oder aus einer absoluten Denkposition hervor kommt, denn sobald er ausgeführt wird, ist er absolut. Und sobald der Entschluss, die Mauer wieder einzureißen, ausgeführt wird, sollte man die Mauer auch im absoluten Sinne als nicht mehr existent ansehen. Denn sonst würde man sich unnötigerweise einschränken. Man würde innerhalb der früheren Mauerbegrenzung bleiben, obwohl man mittlerweile wieder mehr Freiheit hat. Die zu Grunde liegende Denkposition sollte aber offen für Kritik bleiben, denn sonst hätte man nach dem Bau der Mauer keine Möglichkeit mehr, umzudenken und die Mauer wieder einzureißen.

Die Realität im Hier und Jetzt lässt nicht mit sich diskutieren. Sie ist absolut. Es interessiert die Realität nicht, ob man glaubt, man sei nur relativ durch die Führerscheinprüfung gefallen. Denn man hat dann absolut keinen legalen Führerschein. Es interessiert die Realität nicht, ob man glaubt, dass der Partner nur im relativen Sinne weggelaufen sei. Denn er ist im Moment absolut weg. Es interessiert die Realität nicht, ob man glaubt, dass der Kühlschrank nur relativ leer sei, wenn er im Moment absolut leer ist. Das führt zu definitiv vorhandenem Hunger, unabhängig davon, ob man Nahrungsaufnahme nur als relativ wichtig ansieht. Es interessiert die Realität nicht, ob man glaubt, ein Automobil würde nur relativ 12000 Euro kosten. Denn nach dem Kauf befinden sich auf dem Bankkonto absolut 12000 Euro weniger, wenn alles mit rechten Dingen vor sich geht. Es interessiert die Realität nicht, ob man AIDS-Viren nur als relativ existent ansieht. Denn sie werden definitiv das Immunsystem schädigen. Es interessiert die Realität nicht, ob man die Steindecke eines einstürzenden Hochhauses nur als relativ schwer ansieht. Oder ob man die Steine nur als relativ existent betrachtet. Denn sie werden einen absolut erschlagen, wenn sie genügend Masse haben. Die Realität im Hier und Jetzt ist völlig intolerant.

Was das Hier und Jetzt angeht, spielt der Inhalt einer Denkposition eine Rolle, nicht aber, ob dieser Inhalt in relativer oder absoluter Weise vertreten wird. Das heißt, es spielt eine Rolle, ob man eine Steinmauer bauen will oder nicht. Es spielt keine Rolle, ob dieser Entschluss aus einem relativen oder absoluten Denksystem entsprungen ist. Der Relativismus macht keine Aussage, ob Umweltschutz, Atheismus oder Kapitalismus gut oder schlecht sind. Genauso wenig, ob die Verwendung menschlicher Embryonen zu Forschungszwecken, Globalisierung, Terrorismus, Krieg oder Diplomatie, Auto- oder Fahrradfahren, Familien- oder Singledasein, Scheidung, Pornografie, Prostitution, Pflichtbewusstsein, Disziplin, Fleiß, Hilfsbereitschaft, Abtreibung, Feminismus, Homosexualität, Entwicklung künstlicher Intelligenz, Sterbehilfe, Entwicklung von Massenvernichtungswaffen, Erlebnisorientierung, exzessive Partys, Alkoholismus, Fernsehkonsum, Süßigkeitenverzehr, Spiritualität, Religiosität, Gottglaube, Geisterglaube, Demokratie, ein heliozentrisches Weltbild, die inhaltlichen Aussagen von Mohammed, Buddha oder des Dalai Lama, Kommunismus und Gentechnik etwas Gutes oder etwas Schlechtes sind. Die einzige relevante Aussage des Relativismus ist: „Wenn du einen dieser Inhalte als gut verteidigst oder wegen Schädlichkeit bekämpfst, dann bleibe offen für Kritik.“.

Es wird versucht, mittels Rhetorik die Begriffe „relativ“ und „absolut“ zu missbrauchen. Indem bestimmte Ansichten und Personen als absolut gebrandmarkt werden, stellt man sie als gefährlich dar. Die Analyse der Begriffe zeigt, dass eine solche Vorgehensweise letztlich ein Unterstellen von Böswilligkeit, die in Form von Kritikunfähigkeit auftritt, ist.

Autor: Daniel

Alles klar?

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Thema: Denke einmal nach!

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